Der Staatsanwalt

Die schönste Daphne aller Zeiten und der Flüchtling
 
Roman
 
DER STAATSANWALT
 

Seit ich eine schriftliche Bestätigung bekommen habe, dass ich in Hamburg an dem griechischen Schiff "Senegal" als Matrose angestellt werde, hat der Hürdenlauf um einen Reisepass begonnen.

Immerhin sind die zuständigen Ämter voneinander nicht weit entfernt und ich kann überall hin zu Fuß.

Das Leichteste war der "Mahalle Muhtari" (=Bürgermeister des Kreises). Hier bekomme ich endlich meinen offiziellen Namen und eine neue offizielle Adresse.

Unglaublich! Ich habe seit fünfzig Jahren sehr viele Dokumente aufbewahrt. Jetzt liegt der Zettel vor mir.

Ein A5 großes Recyclingpapier.

Da steht gedruckt, "Während oben beschriebene Person in unserem Kreis gewohnt hat, hat sie sich anständig benommen.". Alles andere ist meine eigene Handschrift.

Ich werde unter verschiedenen Namen "Tot oder lebendig" gesucht. Aber unter "Günes Sahiner" nicht. Günes Sahiner ist wohnhaft in "Nusratiye Mahallesi (=Kreis), Uray Caddesi (=Strasse), Sokak (=Gasse) Nr. 37, Hausnummer 5.

Der Bürgermeister ist gleichzeitig Schuster. Ich gehe in seine Hütte. Er hebt nicht einmal seinen Kopf hoch.

Er nimmt mir den Zettel von der Hand, stempelt und gibt ihn zurück. Ich bezahle zwei Lira und 50 Kuruschs, ohne Trinkgeld.

Der Faschismus war überall brutal, aber dumm und schlampig. Das war die Chance der Menschheit zum Überleben.

Heute bin ich bei dem "Staatsanwalt der Republik in Mersin".

Er wird mir eine Bestätigung geben, dass ich unbescholten bin, nicht in der Liste der "Gesuchten" stehe und dass es keine Bedenken dagegen gibt, dass ich einen Reisepass bekomme und das Land verlasse. Ein höheres Dokument ist nur die Besitzurkunde des Himmels.

Er ist einer der amtlichen 20 Faschistenführer der "Republik" in der Stadt, die ich jeden Tag beim Mittagsessen im Kebap Restaurant treffe.

Als ich hinein komme, steht er auf.

Er ist noch nicht vierzig. Er hat aber einen Bierbauch und seine fetten Wangen hängen wie bei einer Bulldogge hinunter.

"Willkommen! Willkommen! Begrüße Sie! Ihr Vater hat mir bereits gesagt, was sie brauchen. Ich habe alles vorbereitet. Kein Problem. Sohn unseres sehr geehrten Zolldirektors. Es ist für mich eine Ehre ihnen helfen zu dürfen. Aber wieso sind sie Matrose? Noch dazu auf einem griechischem Schiff?"

"Bevor ich einen akademischen Beruf ausübe, möchte ich die Welt sehen."

"Ich verstehe. Sehr interessanter Gedanke! Ich würde nie darauf kommen."

Das schwarze Telefon läutet. Mikrofon ist eingebaut. Er hebt den Hörer ab. Er begrüßt orgiastisch. Hört eine Weile zu. Dann bückt er sich zu mir und flüstert:

"Er ist der Sohn des größten Grundbesitzers von hier!"

Dann telefoniert er weiter.

"Was heißt hier Vergewaltigung? Ein bisschen Vergnügung brauchen auch Sie!"

"So eine Frechheit! Ein Bauernmädchen geht zur Polizei und hat Beschwerde gegen Sie? Aber wir haben nur Heimat liebende Polizisten. Sie wissen was sie tun müssen!"

"Wie alt ist sie? Sechzehn? Ein sechszehn jährigen Mädchen kann man schon ficken. Sogar kann sie schwanger werden!"

Ich halte den Staatsanwalt im Visier. Jetzt schneide ich sein rechtes Ohr ab. Dann kommt das linke.
Aber ich bleibe unbeweglich wie eine Buddha- Statue. Ich hasse mich.

"Ist sie bereits schwanger?"

"Wir haben eine gute Frau hier. Sie macht das problemlos und diskret. Sie kostet nicht viel. Sie müssen aber die Kosten übernehmen."

"Kein Problem?"

"Was mit ihr geschieht? Ich erhöhe ihr Alter ein paar Jahre. Dann begleiten sie ein paar Polizisten nach Istanbul. Wir verkaufen sie an ein Puff. Ist sie halbwegs hübsch? Somit werden unsere Kosten abgedeckt."

Ich schneide seinen Schwanz ab. Beschnitten. Ich schneide auch seine Eier ab. Alle sind nach islamischer Tradition glattrasiert. Ich stecke alles in seinen Mund.

Ich denke an meinen Vater. Ich denke an meine Genossen. Ich denke an meine Mission.

Ich bleibe unbeweglich wie eine Buddha- Statue. Ich hasse mich.

Das Telefon Gespräch ist zu Ende.

"Entschuldigen Sie bitte! Es hat zu lang gedauert! Er ist der Sohn des größten Grundbesitzers von hier.

Meine Aufgabe als Amtsträger hier ist zu helfen, wo ich kann."

"Hier sind ihre Papiere. Bereits gestempelt. Schöne Grüße an Herrn sehr geehrten Zolldirektor"

"Danke schön!" sage ich.

Gehe ich auf die Straße. Das große Kuvert in der Hand laufe ich ununterbrochen durch die schmalen Gassen, vielleicht mit der unbewussten Hoffnung, dass mein eigener Wind mich von dem auf mich geladenen Schmutz reinigen wird.


 

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start: 19 novembre 2017, up-date: 19 novembre 2017