Meine Kinder

Die schönste Daphne aller Zeiten und der Flüchtling
 
Roman
 
MEINE KINDER
 

 

Ich bin gerade nach Hause gekommen. Jetzt darf ich acht Stunden schlafen. Ich bin so müde, kann nicht einmal an das Essen denken. Das Bett ist ganz sauber. Die weiße Daunendecke glänzt. Ich habe ein schlechtes Gewissen, aber ich habe keine Kraft mich auszuziehen. Ich gehe mit dem Arbeitsgewand ins Bett.

Ich stecke auch meinen Kopf unter die Daunendecke und versuche mich mit dem eigenen Atem aufzuwärmen. Da ich nichts mehr sehe, habe ich das Gefühl, gegenüber der Außenwelt vollkommen geschützt zu sein.

Aber was höre ich?

Jemand klopft an die Tür! Hat der türkische Geheimdienst sich bis hierher getraut? Aber sie werden nicht an die Tür anklopfen…

Ich hole meinen Kopf heraus. Träume ich? An der Tür steht die Daphne. Mit ihren blauen Augen und herzerwärmenden Lächeln bringt sie mich blitzartig in eine andere Welt. Ich stehe auf. Ich kann mich aber kaum bewegen. Auf einmal stehen im Zimmer mindestens zwanzig Kinder zwischen vier und sechs Jahren.

Jetzt erinnere mich, dass sie "Kindertante" ist.

Sie erzählt den Kindern irgendetwas in Lustenauerisch. Ich verstehe nichts. Aber die Kinder kommen mir näher und jedes davon erzählt mir irgendetwas.

Vor lauter Müdigkeit bin ich sowieso in Halbtrance. Ich fange plötzlich an zu weinen. Auch die Daphne beginnt zu schluchzen. Die Kinder beobachten uns. Dann beginnen sie uns mit ihren kurzen Armen zu umarmen. Daphne und ich, an uns hängend jeweils eine Traube von Kleinkindern, schauen uns an und lächeln mit feuchten Augen in einer Sprache, die nur die Natur versteht.

Ich muss etwas tun. Ich muss immer etwas tun. Ich bin der Berufsrevolutionär.

Vor einer Woche habe ich im "Konsum" die Schulsachen entdeckt.

In einem speziellen Geschäft in Cagaloglu kaufte ich früher mein Zeichenmaterial. Dort durfte ich meine "Habico"-Pinseln aus Marderschwanz (Wahrscheinlich aus Deutschland) prüfen durch lutschen und schlecken. Dafür kosteten sie ein kleines Vermögen.

Hier ist alles von einer Qualität, dass ich es niemals kaufen würde. Dafür aber spottbillig.

Ich fülle ein Plastiksackerl mit dem Gerümpel, ohne zu wissen, was ich damit anfangen sollte.

Der erste Bub bekommt einen Bleistift. Danach kommt ein Mädchen und bekommt einen Bleistiftspitzer. Das nächste Kind bekommt einen Radiergummi.

Ich mache die Schachtel auf und verteile die runden Aquarellkapseln einzeln.

Jedes Kind bekommt etwas. Ich verteile auch meine Briefpapiere. Nach einer viertel Stunde sind die Daphne und ihre Kinder wieder verschwunden aus meinem trostlosen Leben.

Am nächsten Tag sind die Arbeitsschichten wieder anders. Diesmal sitze ich am Abend unter meinem Zimmer im Gasthaus und trinke mein Bier.

Oben an der Ecke ist ein großer Fernsehapparat angehängt. Alle Gäste schauen dorthin. Auch ich. Und ich schreibe.

Damals kann ich noch nicht genügend Deutsch um Gedichte zu schreiben. Ich schreibe türkisch.

 

ÇOCUKLARIM


Çocuklarım,
sevgili çocuklarım benim!
Ciğerimin paresi evlatlarım!

Beyler gibi biramı yudumlarken
bir Gasthaus'unda Avusturya'nın
Ve Shirley Bessy'yi seyrederken
televizyonda,
birdenbire düşüverdiniz aklıma...
Birdenbire hücum etti kan
fışkıracak gibi
şakaklarıma...

Çocuklarım, Sevgili çocuklarım benim!
Ciğerimin paresi evlatlarım!
Bir zenci kadını
Bu Shirley Bessy...
Bir zenci,
kadın,
şarkıcı.
Sarı elbiseler giymiş...
Güzel elbiseler...
Yakışmış...
Angela Davis'i duydunuz mu çocuklarımm?

Çocuklarım,
Sevgili çocuklarım benim!
Ciğerimin paresi evlatlarım!
Avlularında dilendiğiniz
İstanbul camileri gibi
büyük Avrupa...

Çocuklarım,
sevgili çocuklarım benim!
Ciğerimin paresi evlatlarım!
Siz hiç bisiklete bindiniz mi ha?
Neden binmediniz?
Neden?
Sevgili çocuklarım benim!
Pabucunuz bile yok ayağınızda!

Çocuklarım,
sevgili çocuklarım benim!
Ciğerimin paresi evlatlarım!
Kiminizi Güney-Doğu'da tanıdım:
Meyankökü şerbeti satıyordunuz...
Kiminizi bir Orta-Anadolu köyünde
şeytan görmüş gibi bakarken buldum
altımızdaki otomobile...

Çocuklarım,
Sevgili çocuklarım benim!
Ciğerimin paresi evlatlarım!
Pazar yerlerinde
kilonuzca küfeleri
taşırken sırtınızda
nasıl hasretle seyrettiniz
okula giden akranlarızı...

Çocuklarım, çocuklarım, sevgili çocuklarım benim!
Ciğerimin paresi evlatlarım!
Belki bir gün,
belki bir gün,
-canım yavrularım benim-
mutlaka bir gün,
bağımsız bir Türkiye'de
okula gideceksiniz...

Dondurma bile,
pasta bile,
çukulata bile yiyeceksiniz,
inanın bana...
Karnınız tok,
sırtınız pek olacak...
Sakın unutmayın o zaman,
sakın unutmayın:
Kolay olmadı kazanmak
bağımsızlığı...

11 Eylul 1971
Gasthaus Schwannen
Lustenau
Vorarlberg

 

MEINE KINDER

Meine Kinder,
meine lieben Kinder!
Meine Herzblätter, meine Kinder!

Während ich wie die Herren
mein Bier genieße in einem Gasthaus in Österreich
und Shirley Bessy anschaue
im Fernsehen,
plötzlich denke ich an Euch…
Plötzlich stürmt das Blut
wie wenn es hinaus spritzen will
an meine Schläfen.

Meine Kinder,
meine lieben Kinder!
Meine Herzblätter, meine Kinder!
Eine schwarze (*) Frau
Diese Shirley Bessy…
Eine schwarze,
Frau,
Sängerin…
Ein gelbes Kleid hat sie an…
Ein schönes Kleid…
Passt ihr sehr schön…
Habt ihr von Angela Davis gehört, meine Kinder?

Meine Kinder,
meine lieben Kinder!
Meine Herzblätter, meine Kinder!
Europa ist groß
wie die Höfe der Istanbuler Moscheen
wo ihr bettelt…

Meine Kinder,
meine lieben Kinder!
Meine Herzblätter, meine Kinder!
Habt ihr einmal Rad gefahren, ha?
Warum nicht?
Meine lieben Kinder!
Ihr habt nicht einmal Schuhe an euren Füßen!

Meine Kinder,
meine lieben Kinder!
Meine Herzblätter, meine Kinder!
Manche von euch habe ich im Süd-Osten (**) kennengelernt:
Ihr habt Koka-Sirup verkauft…
Manche von euch habe ich gefunden in einem Dorf in Mittel-Anatolia
während ihr betrachtet unser Auto
als ob es ein Teufel wäre…

Meine Kinder,
meine lieben Kinder!
Meine Herzblätter, meine Kinder!
An den Marktplätzen
während ihr die Körbe, schwer wie eure Körper
trägt an euren Rücken
mit welcher Sehnsucht habt ihr angeschaut
die Schulkinder im gleichen Alter…

Meine Kinder,
meine lieben Kinder!
Meine Herzblätter, meine Kinder!
Vielleicht eines Tages,
vielleicht eines Tages,
-ihr seid mein Leben meine Kinder-
unbedingt eines Tages,
in einer unabhängigen Türkei (***)
werdet ihr in die Schule gehen…
Ihr werdet sogar Eis,
sogar Torte,
auch Schokolade essen,
glaubt mir…
Ihr werdet satt
und euer Leben wird in Sicherheit sein…
Dann, vergesst es niemals,
vergesst es niemals:
Es war nicht leicht
Erringen der Unabhängigkeit…

11. September 1971
Gasthaus Schwannen
Lustenau

(*) Zenci. Aus mittelalterlicher Zivilisation Zanj in Afrika abgeleiteter Begriff "zenci" wurde im osmanischen Reich für die schwarz-afrikanischen Sklaven verwendet. Zu meiner Jugend hieß es einfach "Schwarz-Afrikaner", ohne Diskriminierung. Ich betone den Begriff eher als Lob.
(**) Süd-Osten. Obwohl ich seit langem im kurdischen Widerstand war, verwende ich hier statt Nord-Kurdistan, Süd-Osten (der Türkei). Mein Kontakt mit Genossen war längst abgebrochen. Ich erfuhr die Geschehnisse aus den Zeitungen. Der Widerstand dauerte an. Aber es schaute für uns nicht gut aus: Viele GenossInnen waren verletzt, getötet oder verhaftet. Für die Genossen Deniz Gezmis, Yusuf Aslan und Hüseyin Inan wollte das Kriegsgericht die Todesstrafe. Rotes Tuch für die Faschisten war die "Kurdenfrage". Ich wollte unter diesen Umständen die faschistische Diktatur nicht noch mehr provozieren.
(***) Unabhängige Türkei. Damals skandierten wir in Demonstrationen "Ho! Ho! Ho-Chi-Minh! Zwei, drei, noch mehr Vietnam!" Wir glaubten damals, dass wir vor der Revolution, die Türkei zuerst von dem USA-Imperialismus befreien sollten.
 
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start: 19 novembre 2017, up-date: 19 novembre 2017