Socken waschen

Die schönste Daphne aller Zeiten und der Flüchtling
 
Roman
 
SOCKEN WASCHEN

 

Wie wir in Istanbul, in der Ortschaft Erenköy, in dem von meinem Vater gebauten Haus wohnten, war am Dachboden eine kleine Holztruhe. Es sollte irgendwann die Mitgift meiner Schwester werden.

Mein Vater erwarb immer wieder diverse Kuriositäten von europäischem Schiffspersonal und staute sie hier. In dieser Kiste waren auch zwei Stück verpackte Seife, Marke "Lux".

 


Lux

 

Diese Seifen dufteten, ohne die Packung aufzumachen so stark, ich fühlte mich davon überwältigt. Ich dachte, dass nur die europäische Zivilisation im Stande ist, so ein Faszinosum zu erzeugen. Ich atmete den Duft tief in meine Lunge und geriet fast in eine Ekstase.

Jetzt lebe ich Lustenau. Lustenau ist in Europa. Und das Zentrum von Europa in Lustenau ist der Konsum.

Wo sonst? Im Konsum entdecke ich die Seife "Lux".

Jetzt bin ich im Gasthaus Schwanen und stehe vor dem Waschbecken im Klo. Ich wasche meine stinkenden Socken mit Lux. Ich drücke sie aus und wasche sie noch einmal. Sie duften so herrlich.
Ich würge sie noch einmal ordentlich und renne in den Hinterhof. Hier ist eine Wäscheleine gespannt und Pia hängt hier immer wieder Wäsche darauf. Ich finde um eine Ecke den Korb mit den Kluppen.

Jetzt hänge ich meine Socken nebeneinander an die Leine.

Bevor ich fertig bin, kommt Pia zu mir gelaufen. Sie sagt:

"So nicht. Was werden die Nachbarinnen sagen?"

Wie wir dort angesiedelt waren, war Erenköy auf der anatolischen Seite von Istanbul zum Teil noch Land, Provinz. Neben Bauparzellen waren bebaute Felder und Brachland.

In den letzten Jahren nervte mich meine Mutter fast täglich. Sie hatte eine Eigenschaft mit allen ungebildeten Menschen gemeinsam: Sie kannte die Wahrheit und die Wahrheit war unveränderbar und absolut. Zur Erlangung der Wahrheit stellte sie eine einzige Frage: "Was werden die Nachbarinnen sagen?"

Pia riecht meine Socken und schrumpft ihr Gesicht. Dann holt sie einen Holzbottich mit Warmwasser, schmeißt einen Becher Pulver hinein und wirft meine wohlduftenden Socken hinein.

Dann bringt sie ein "Waschbrett". Auch das habe ich noch nie gesehen. Das ist ein Holzbrett, worauf ein Wellblech von vier Ecken geschraubt ist. Viel später begegnete ich denselben Gegenstand als Perkussionsinstrument.

Sie zeigt mir, wie man die Socken darauf reibt und ich mache weiter. Sie schüttet den Bottich aus und bringt jetzt klares Wasser.

Erst jetzt gelten die Socken als sauber. Ich fange an, sie wieder an die Leine zu hängen. Sie sagt wieder:

"So nicht! Was werden die Nachbarinnen sagen? Nicht alles durcheinander. Schwarz neben schwarz, blau neben blau, grau neben grau."

Jetzt habe ich zwei Mütter: Eine schwarzhaarige und eine rothaarige. Das wird bald zweimal Sehnsucht bedeuten.

Was Pia nach meinem Abschied sagte, erfahre ich dreiundzwanzig Jahre später:

"Jetzt muss der arme Bub so in die Fremde."

Eine Annäherung mit Ernst dauerte ein bisschen länger. Er war mir gegenüber nicht feindlich, aber distanziert und beobachtend.

Ich habe keine Statistiken. Aber nach meinen Beobachtungen waren, abgesehen von Bäuerinnen, in Österreich verhältnismäßig mehr Frauen erwerbstätig als in der Türkei. Nur, 1971 waren auch in Österreich viel mehr "Hausfrauen" zu sehen als zehn Jahre später. Auch in Lustenau. Was sie zuhause tun, habe ich nicht gesehen. Aber Einkaufswagen schiebende junge Frauen mit kleinen Kindern waren die hauptsächlichen Kundinnen von Konsum.

Bis ich den "Waschsalon" entdecke, ist eine Weile vergangen. Auch hier waren die Kundinnen junge Frauen mit Kleinkindern. Anscheinend hat es damals nicht in jedem Haushalt eine Waschmaschine gegeben. Wo man welche Münze wirft, wie man Waschpulver holt, wie man eine Waschmaschine bedient, sogar wie man die gewaschene Wäsche trocknet, habe ich von "Hausfrauen" gelernt. Nur die Bunten Illustrierten haben mich nicht interessiert. Während der Wartezeit bin ich hinaus zum Spazieren gegangen.

Wozu sind die Gastarbeiter nützlich?

Man kann sie arbeiten lassen. Man kann ihnen Bruchbuden um Wucherpreise vermieten. Man kann ihnen halbgerupfte Backhändeln verkaufen. Ist das alles?

Im neunzehnten Jahrhundert bauten die Wiener für tschechische Gastarbeiter Tröpferlbäder. Die Wasserreservoire waren im obersten Stock. Weil die Bäder in Überkapazität frequentiert wurden, rannte das Wasser Tröpferl weise. Darum hießen sie Tröpferlbäder. Sogar war die Arbeiterklasse in diesen Bädern klassifiziert: Eintrittspreise waren für erste und zweite Klasse differenziert.

Auf die Erfindung, womit die Wiener im neunzehnten Jahrhundert den "Gastarbeitern" Geld abknöpften, war für die Lustenauer im zwanzigsten Jahrhundert selbstverständlich nicht zu verzichten.

Endlich entdecke ich die Münzbäder inmitten einer Wiese und unter ein paar Bäumen.

Das war ein länglicher Holzschuppen. Besser gesagt, mehrere Holzzellen nebeneinander gereiht.

Sechs Stück? Acht Stück? Weiß ich nicht mehr. Ich bin nur ein einziges Mal dorthin gegangen.

Zuerst gehe ich zum Konsum und kaufe zwei neue weiße Handtücher und einen Beutel "Badeschaum". Dann wieder zu den Münzbädern.

Ich gehe in eine Zelle mit offener Tür hinein. Ich riegele die Tür von innen zu. Drinnen ist eine kleine Holzbank und eine Keramikbadewanne.

Ich ziehe mich aus und lege meine Schmutzwäsche auf die Bank. Daneben lege ich auch die saubere Wäsche und passe sehr auf, dass kein Stück hinunterfällt und dreckig oder nass wird.

Neben dem Wasserhahn ist ein kleiner Kasten. Ich schmeiße eine Zehnschillingmünze hinein. Es kommt angenehm warmes Wasser. Ich leere den Schaumbad Beutel in die Wanne. Es schäumt ordentlich und riecht auch angenehm. Jetzt bin ich auch drinnen und versuche meinen Körper zu reinigen.

Bis dahin ist alles gut. Bald aber beginnt das Wasser in der nicht isolierten Wanne kalt zu werden.

Mein Körper ist voller Schaum. Ich will mich abspülen. Es ist aber nicht zu machen. Es bleibt mir nichts übrig als mich mit den Handtüchern abzutrocknen.

Obwohl ich technisch interessiert bin, habe ich nicht angeschaut, wie das ganze funktioniert. Völlig verärgert ziehe ich mich wieder an und gehe weg.

Wer danach die Anlage zur Wiederverwendung vorbereiten wird, weiß ich nicht. Wahrscheinlich wieder ein Gastarbeiter.



 
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start: 19 novembre 2017, up-date: 19 novembre 2017