Gasthaus Linda

Die schönste Daphne aller Zeiten und der Flüchtling
 
Roman
 
GASTHAUS LINDA

 

Sonntag. Ich bin fein angezogen. Ich stehe auf der Reichstraße gegenüber dem Gasthaus Schwanen.

Ich will Lustenau weiter entdecken. Ich biege nach rechts. Und gehe langsam weiter.

Irgendwann auf dem linken Straßenrand sehe ich ein Holzschild mit einem Pfeil: "Gasthaus Linda".

Ist das möglich, dass es in Lustenau noch ein Gasthaus gibt?

Neugierig geworden, gehe ich weiter.

Jetzt sehe ich auf der linken Seite einen größeren Parkplatz aus Beton und darauf einige Autos. Danach kommt eine größere Schuhschachtel aus Beton.

Aber merkwürdig ist, die große Doppeltür am Eingang ist aus dickem Glas. Auf beiden Flügeln sind je eine senkrechte Metallstange angebracht. Auf der rechten Seite klebt ein kleines Aluschild mit der englischen Aufschrift "Push".

Ich greife die Metallstange fest an und drücke die schwere Glastür langsam hinein. Gleichzeitig bereite ich meine Ohren auf Geschrei und Getöse der Männer und schallendes Gelächter der Frauen vor.

Umsonst. Drinnen herrscht die Stille von einer Leichenhalle.

Mir fällt ein riesiger Tisch an der linken Mauer auf. Der ist mit einem schneeweißem Tuch bedeckt und darauf liegen viele Zeitungen. Ich gehe hin. Alle Zeitungen sind auf Zeitungshalter aus Bambus sorgfältig gespannt. Sowas habe ich noch nie gesehen.

Ich sehe in dem langen Saal mehrere Tische, die mit Abstand zueinanderstehen. Alle sind mit schneeweißen Tüchern bedeckt. Es sind nicht alle Tische besetzt. An manchen Tischen sitzen Männer mit Anzug und Krawatte und Frauen, die sehr festlich gekleidet sind. All die Leute schweigen, oder flüstern sehr leise. Alle Leute sind wesentlich älter als ich.

Meine Augen suchen eine barfüßige Fee, die mir einen Sitzplatz zeigt. Umsonst. Dafür sehe ich zum ersten Mal in meinem Leben zwei volluniformierte Kellner, die sich schnell, aber sehr leise auf ihren Zehenspitzen bewegen. Auf ihren rechten Händen hängen weiße Tücher. Mit ihren weißen Hemden, schwarzen Mascherln und Westen schauen sie wie die Butler in englischen Kinofilmen aus.

Dann erscheint plötzlich eine kleine Frau und kommt sehr schnell aber fast am Boden rutschend wie auf Schlittschuhen auf mich zu.

Sie ist um die vierzig, hat eine dunkle Haut und einen Bubikopf mit langsam ergrauenden schwarzen Haaren.

Später werde ich in der Fabrik erfahren, dass sie "Linda, die Zigeunerin" heißt. Und sie ist nicht aus Jugoslawien importiert, sondern "echt" einheimisch.

Sie legt ihre kleinen Hände auf meine Brust und stoßt mich mit ihrer ganzen Kraft hinaus. "Du Schwarzkopf. Du nicht hier. Du gehen hinten!"

Wenn ich einmal huste, fliegt diese kleine Frau davon. Ich will aber meinen Sonntag nicht verderben und gehe hinaus.

Was hat sie mit "hinten" gemeint? Ich gehe um das Haus herum und sehe hinten eine größere Betonpiste wie bei einem Flughafen.

Hier stehen ungefähr dreißig Tische. Sie sind klapprige Gartentische aus Holz und nicht mit weißen Tüchern bedeckt. Auch die Sesseln sind Klappsesseln. Alle Tische und Sesseln sind voll besetzt.

"Du Schwarzkopf?". Hier besteht die ganze Kundschaft nur aus Männern und alle haben dunkle Haare und Schnurrbärte. Keine einzige Frau zu sehen. Hier sitzen zehnmal mehr Menschen wie im Gasthaus. Anscheinend ist hier die Haupteinnahmequelle des Betriebes.

Und hier ist es sehr laut und die Männer bewegen sich ständig in Wellen.

Ein Kellner kommt. Ohne Uniform. Seine Ärmel sind aufgekrempelt. Er trägt eine dreckige weiße Schürze.
Ich möchte gerne ein Bier zum Essen bestellen, aber sehe ich nirgends Bier oder Wein. Also bin ich gezwungen, wie alle anderen Wasser zu trinken. Wasser ist gratis. Auf allen Tischen stehen volle oder halbvolle Karaffen.

Und auf allen Tischen stehen Teller mit ähnlichen Speisen, die ich nach danebenstehenden Knochen als Händelteile einschätze.


 


Gummi Adler

So setze ich mich zu einem Tisch dazu und bekomme das erste Backhändel meines Lebens.

Ich habe noch nie etwas "paniertes" gegessen. Es ist knusprig. Es gefällt mir. Aber bei jedem Biss spritzen Ölfontänen aus meinem Mund.

Als Beilage gibt's Pommes Fritters. Auch sie sind knusprig, aber sehr fett.

Am Anfang schmeckt mir alles. Aber mit der Zeit wird es eigenartig. Ich will den Topf, wo diese Sachen gebraten werden, nicht sehen. Das Öl dürfte ziemlich alt sein. Wahrscheinlich schaut es so schwarz aus, wie das Maschinenöl, das aus der Strickerei Maschine hinunter tropft.

Dann erwische ich unter der Panierung Federteile.

Mir wird langsam richtig schlecht.

Ich habe mit dem Essen zwei kleine Alupackungen bekommen. Ich reiße eine davon auf. Drinnen ist ein kleines Stück mit Kölnischwasser getränktes Papier.

Ich versuche meine Hände mit dem zu putzen. Meine Finger kleben zusammen. Auch nach dem zweiten Stück ändert sich nichts. Ich kann nicht mehr meine Hände in meiner Taschen stecken.

Ich bezahle und flüchte. Ich gehe schleunigst ins Gasthaus Schwanen und wasche meine Hände, mein Gesicht, meine Hände, mein Gesicht…



 
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start: 19 novembre 2017, up-date: 19 novembre 2017