Rasur

Die schönste Daphne aller Zeiten und der Flüchtling
 
Roman
 
RASUR

 

08. 09. 1971, Dienstag
Arbeitsschicht: 00.00-08.00 Uhr

Elf Uhr Nacht. Die Tarantel spaziert auf meiner stark behaarten Brust wie die Jane im Dschungel.

Nach dem Stempeln gehe ich sofort zu den Toiletten. Die Klos sind zugesperrt aber mehrere Waschbecken mit Spiegeln sind zugänglich. Und es gibt auch Warmwasser. Das ist Europa!

Noch eine Woche und ich schaue wie ein schwarzer Imam aus. Ich schäume die Seife, setze die Klinge in den Apparat und fange an mich zu rasieren. Ein Mann kommt. Sieht mich und nörgelt lautstark irgendetwas. Ich tue so, wie wenn ich taub wäre. Er geht ins Klo, macht die Tür zu.

Auf einmal kriege ich nicht alles hinunter. Ich setze eine neue Klinge in den Apparat und mache weiter. Jetzt bin ich hochzeitsmäßig rasiert. Ich wasche mein Gesicht. Jetzt sehe ich ein paar kleine Schnitte an meinem Kinn. Ich reibe meine Haut, bis das Blut nicht mehr sichtbar ist. Ich mache das Waschbecken spurlos sauber. Ich schaue mich noch einmal im Spiegel an: Ich bin wirklich schön!

Wie ein Bräutigam zur Braut geht, gehe ich zu meinem Monster.

Nach der Leberkäsesemmel kommt Luigi. Er deutet auf mich mit seinem Zeigefinger und lacht laut.

Dann umarmt er mich und küsst mich von den beiden Wangen.

"Io canto."

"Tu canti."

"Lui canta."

"Lei canta."

Ismail kommt. Auch er lacht ganz laut. Dann umarmt er mich und küsst meine Wangen. Ab jetzt werde ich mich jeden Tag rasieren.

"Lieber Ismail! Heute werden wir uns mit "Dialektischer Materialismus" beschäftigen." Er schaut mich verständnislos an.

"Weißt du was Philosophie heißt?"

"Nie gehört. Ein Fisch?"

 

 
 
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start: 19 novembre 2017, up-date: 19 novembre 2017