Kündigung

Die schönste Daphne aller Zeiten und der Flüchtling
 
Roman
 
KÜNDIGUNG

 



Modern times

 

Kündigung

Montag.


Einigen Freunden von mir droht der Tod. Zumindest im Moment habe ich keine Todesandrohung.
Ich bin auch nicht im Gefängnis. Aber was ist diese Strickerei Fabrik? Ein halboffenes Gefängnis?

Ich werde vorläufig auch nicht von der Folterung bedroht. Aber was ist in drei Schichten Schiflies füllen? Ist diese Idiotenarbeit nicht eine Folter?

Bis jetzt war ich immer pünktlich bei der Arbeit. Sogar war ich meistens vorher da und habe gewartet, bis die Tür aufgemacht wird. Dafür bin ich öfters hingelaufen.

Heute habe ich keine Lust zum Laufen. Weil ich keine andere Alternative zum Geld verdienen kenne, gehe ich in die Fabrik, aber gemächlich.

Jetzt stehe ich vor dem Fabriktor. Ich schaue auf meine Armbanduhr. Acht Uhr und vier.
Was kann passieren? Sie werden meine Stempelkarte anschauen und von meinem Lohn vier Minuten abziehen. Oder eine halbe Stunde. Oder einen halben Tag.

Es ist mir vollkommen gleichgültig. Umbringen werden sie mich sicher nicht.

Jetzt will ich hinein gehen. Zwei österreichische Kollegen halten mich fest an der Tür und lassen mich nicht hinein. Dann kommen noch einige dazu und bilden eine dichte Mauer bei dem Eingang. Ich kann diese Flanke sicher nicht durchbrechen.

"Was ist los?", schreie ich.

Auch sie schreien einiges.

"Zu spät!" und "Kündigung!" verstehe ich.

"Pass?", schreie ich. "Lohn?", schreie ich.

Meinen Reisepass haben sie behalten. Ich bekomme noch einen halben Monatslohn für Oktober.
Nein. Meine Fragen interessieren Niemanden.

Polizei


Ich komme vom Bürgerkrieg. Polizisten und Militärs sind Soldaten des feindlichen Heeres.

Kann ich sie auch hier so sehen? Ich glaube eher nicht.

Ich habe hin und da auf der Straße uniformierte Polizisten gesehen. Aber ohne Panzer, ohne Wasserwerfer, ohne Maschinenpistolen. Sie haben mich noch nie angehalten.

Im Kapitalismus ist die Justiz für den Schutz des Eigentums da. Executive der Justiz sind die Polizisten.

Sie haben meinen Reisepass gestohlen. Sie haben meinen halben Monatslohn gestohlen.
Ich gehe zur Polizei.

Im Polizeirevier erzähle ich kurz, halb Englisch halb Deutsch, was passiert ist. Sie übersetzen einander weiter. Und diskutieren.

Ein Polizist fragt mich:

"Wo arbeiten du?"

"Ott Julius!", sage ich.

Alle lachen.

Dann hält mich einer vom linken Arm und einer vom rechten. Sie bringen mich zur Tür und öffnen sie. Was haben sie vor?

Plötzlich bekomme ich einen sehr heftigen Fußtritt auf meinen Rücken.

Ich fliege hinaus und falle mit meinem Gesicht nach unten auf die Straße. Mein Kreuz schmerzt.
Bevor aufstehen ist mein erster Gedanke sofort zurückzugehen, solange klopfen bis sie öffnen, und dann einen Polizisten seine Pistole entwenden und alle niederschießen.

Ich bin sehr beweglich. Ein Erfolg ist möglich. Aber nicht sicher. Auch wenn mir das gelingt, danach bin ich sicher tot.

Ich denke, ein toter Revolutionär ist kein guter Revolutionär. Von lauter Zorn knirsche ich mein Zähne.

Brille

Meine Brille liegt am Boden. Jetzt besteht sie aber aus zwei Stücken. Glücklicherweise sind die Gläser nicht geschädigt. Aber der Bügel, womit sie auf die Nase gehängt wird, ist abgebrochen.

Der Rahmen meiner Brille ist vergoldet, aber in Wirklichkeit ist es nur ein Kupferdraht.

Am Beyazit-Platz in Istanbul, nicht weit von der Universität, gibt es einen offenen Antiquariatsbazar. Hier liegen am Gehsteig auf Tücher gelegt uralte Bücherraritäten, sogar manchmal sehr wertvolle osmanische Handschriften. Neben den Büchern liegen auch gebrauchte Brillen, Etuis, alte Füllfedersets und ähnliches. Ich habe meine Brille dort gekauft und ein Optiker hat darauf die richtigen Gläser angepasst.

Zum Lesen brauche ich keine Brille. Aber weitstehende Straßenschilder kann ich ohne Brille nicht lesen. Ich trage sie seit sechs Jahren und sie passt zu meinem Gesicht sehr gut.

Reparaturmann

Ich habe keine Ahnung, wie man in Lustenau zu einer Brille kommt. Vor allem was so etwas kostet. Ich muss sie reparieren.

Wie ich in die Schule ging, habe ich in den Sommerferien bei meinem Onkel Saim als Lehrling gearbeitet. Er hat mir Schwimmen, Rad fahren, Rad reparieren, aber auch Wein trinken und löten beigebracht.

Für mich wäre die Reparatur eine Kleinigkeit. Aber ich habe kein Werkzeug.

Ich habe bei meinen Entdeckungsgängen in Lustenau einmal etwas gesehen. Es war in einer Seitengasse eine sehr, sehr kleine Werkstatt, bis zum Plafond voll mit Regalen und Gegenständen. Hinter einem Tisch stand ein sehr schlanker alter Mann mit einer dicken Brille und lötete.

Ich suche ihn.

Bald habe ich ihn gefunden. Ich sage "Guten Tag.", und zeige meine Brille. Er dreht sie zweimal zwischen seinen Fingern und beginnt mit löten. In zwei Minuten ist alles fertig.

Ich probiere sie aus. Alles passt. Nur ein hellgrauer Fleck auf dem Bügel. Aber das stört mich nicht.
"Was bin ich schuldig?"

"Fünf Schilling.", sagt er. Um fünf Schilling gibt's nicht einmal ein Packerl Zigaretten.

ÖGB

Ich weiß bereits, dass ich Mitglied bei einer Gewerkschaft bin. Ich frage herum und suche das Gewerkschaftsbüro. Nach einer halben Stunde sitze ich in der ÖGB gegenüber einem gelangweilten Beamten.

In der Türkei gibt's mehrere, miteinander konkurrierende Gewerkschaften.

Manche sind gute, linke Gewerkschaften, aber manche sind nur kriminelle Betrüger Banden. Aber alle Beschäftigten einer Gewerkschaft leben von den Beiträgen der Mitglieder. So dürfen sie es sich mit den Arbeitern nicht verscherzen.

Wenn du zu einer Gewerkschaft gehst, bekommst du zuerst eine Zigarette, ein Glas Tee und Biskuiten.

Hier bekomme ich nichts.

Ich erzähle meine Geschichte. Er gähnt. "I cannot help you. You must gut to a lawyer and to a court."
Womit soll ich einen Rechtsanwalt bezahlen? Wie lange dauert ein Prozess?


 



 
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start: 19 novembre 2017, up-date: 19 novembre 2017