Das Ende

Die schönste Daphne aller Zeiten und der Flüchtling
 
Roman
 
DAS ENDE

 

Letzter Besuch von Daphne in meiner Wohnung in der Berggasse, Wien.

Alles, was heute geschah, ist nicht erzählenswert.

Zwei Uhr in der Nacht ist bereits vorbei.

Daphne liegt oben in meinem Hochbett.

Ich sitze unten allein, trinke ein Glas Wein nach dem anderen und rauche. Ich bin bereits ein bisschen betrunken.

Ich steige hinauf und setze mich neben Daphne ins Bett.

"Daphne! Ich kann dich nicht länger belügen. Ich werde dir etwas gestehen. Du hast gesagt, dass du vollkommen unabhängig bist. Das gleiche kann ich von mir nicht behaupten. Ich bin mit mehreren Frauen gleichzeitig in Liebesbeziehungen. Und das seit Jahren. Manchmal wird diese oder jene Beziehung intensiver als die anderen. Aber wenn ich einmal verliebt bin, es ist bei mir lebenslänglich. Ich will nicht und ich kann nicht diese Beziehungen beenden."

"Sag, dass das ein Scherz ist. Ich kenne dich. Du bist kein orientalischer Pascha. Du kannst keinen Harem haben."

"Ich habe keinen Harem. Die Frauen, die ich liebe, sind sehr selbstständige Menschen wie du. Und ich habe keinen Besitzanspruch auf sie. Sie kommen und gehen, wann sie wollen."

"Warum sagst du solche Sachen? Willst du mich verletzen?"

"Nein, Daphne. Ich liebe dich zu sehr, um betrügen zu können. Ich will, dass du die Wahrheit über mich erfährst."

Daphne beginnt zu schluchzen. Ich flüchte nach unten. Ich mache noch eine Flasche Wein auf.

Ich trinke ein Glas nach dem anderen. Ich kann mich nicht mehr kontrollieren.

Ich will nicht jemals auf diese Welt gekommen sein. War mein Dasein notwendig?

Ich steige wieder auf das Bett.

"Bitte hör auf mich zu foltern.", sagt Daphne. "Willst du mich töten?"

"Es gibt auch Männer in meinem Leben. Ich liebe auch Männer. Ich habe auch Sex mit ihnen."

"Du lügst.", sagt Daphne. "Du bist selbst ein Mann."

"Es schaut nur so aus.", sage ich. "Vor allem wenn die Männer über Sex reden, spüre ich sehr stark, dass ich nicht zu ihrem Geschlecht gehöre. Vielleicht gehöre ich zu einem dritten Geschlecht."

Daphne steht weinend auf. Diesmal bleibe ich im Bett. Ich höre, dass sie sich langsam anzieht. Ich höre, dass sie ihre große Handtasche an die Schulter hängt.

Dann sagt sie:
"Du hast mir sehr weh getan. Bitte ruf mich nie mehr wieder an."

Dann höre ich die Wohnungstür hinter ihr leise einrasten.

Ich habe in einem sehr kleinen Garten in Lustenau drei Rosenstöcke gepflanzt.

Heute schreiben wir den sechsten April 1922. In den vergangenen achtundzwanzig Jahren sind meine Rosen prächtig gewachsen.

Bald wird es wieder Sommer. Dann wird neben meinen Rosen eine alte Frau erscheinen. Abgemagert, gebückt, mit aschgrauen Haaren.

Sie wird meine Rosen gießen. Über ihre zahllosen Falten an den Wangen werden Tränen hinunter rinnen.


 
 
 
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start: 19 novembre 2017, up-date: 19 novembre 2017