Alles Gute!

Die schönste Daphne aller Zeiten und der Flüchtling
 
Roman
 
ALLES GUTE!

 

Anscheinend auch ich teile das Schicksal der vielen alten Menschen: Irgendwann, wenn der Mensch sich keine Zukunft mehr vorstellen kann, beginnt er in der Vergangenheit zu leben. Nur, wenn man seine Erinnerungen nicht mehr einordnen kann, sie können ihn überfahren, wie die Gestalten in der Johannesapokalypse. Bei mir sind die Erinnerungen nicht Kaleidoskop, sondern Kinofilm ähnlich, und haben auch Gerüche und Gedankenblasen.

Ich lebe aber öfters derart intensiv in ihrer vergangenen Welt, dass ich meine Gefangenschaft zwischen vier Wänden im Rollstuhl nicht mehr wahrnehme.

In meinem Fall ist die Rückkehr zu der Vergangenheit außergewöhnlich zwingend:

Ich lebe am Ende der Welt ganz allein. Seit ich in dieses Kaff gekommen bin, sind dreizehn Jahre vergangen. Hier gibt's einige Menschen, die meine Harmlosigkeit schätzen, oder einige haben Mitleid mit mir, weil ich alt und krank bin und im Rollstuhl sitze. Aber einen Freundeskreis in meiner Gegend habe ich nicht.

Und meine alten Freundinnen und Freunde? Sie fallen der Reihe nach wie die Herbstblätter. Oder sie sind krank und gebrechlich wie ich und können mich nicht besuchen, oder haben sie Angst, wenn sie mich kontaktieren, dass ich um irgendwelche Hilfe bitten werde.

So sinke ich immer wieder in meine Vergangenheit und sehe mein Leben im Gedächtnis wie eine Streaming-Serie. Und wenn ich davon aufwache und meine Lebensunfähigkeit im Rollstuhl ertappe, mich packt die Verzweiflung:

War das wirklich mein Leben? Oder habe ich gerade geträumt?

Eines Tages nach so einem Vorfall habe ich mich plötzlich entschieden, die aktuelle Episode meiner Tagträumereien niederzuschreiben. So begann ich den Roman, den sie jetzt lesen, zu schreiben.

Das war am 28. 03. 2020.

Ich habe kein Konzept erarbeitet, keinen Plan gehabt, nicht einmal überlegt, wie der Roman beginnen und enden sollte. Ich habe einfach niedergeschrieben, was mir gerade einfällt und ohne stilistische Gedanken, sondern genauso wie es mir einfällt.

So habe ich auch keine Absicht gehabt, die Geschehnisse chronologisch aufzureihen.

Aber wie ich meinen Eintritt in der Strickerei Fabrik zu schreiben begann, war in meinem Kopf so ein Durcheinander von sich überschlagenden Erinnerungsstücken, habe ich mich gezwungen gesehen, einer Reihe von zeitlicher Aneinanderreihung zu folgen. Aber das gelang mir nicht.

Exakt fünfzig Jahre später, wenn ich meine Erinnerungen schreibe, überrascht mich, dass ich mich noch immer nicht nur an die Ereignisse, sondern an die dazugehörigen Bilder, Klänge, Gerüche, sogar Namen erinnere. Aber an die zeitlichen Daten erinnere ich mich nicht.

Das war nie meine Stärke. Auch vor Jahrzehnten, wenn ich sagte "gestern", unterbrach mich mein Zuhörer und korrigierte: "Vor zwei Wochen."

Ich habe damals kein Tagebuch geführt. Auch nicht irgendwo bestimmte Ereignisse mit Datum notiert. Lediglich habe ich meine Gedichte datiert.

So habe ich jetzt versucht, anhand der Datierung der Gedichte den damaligen Tageskalender zu rekonstruieren.

Mittlerweile bin ich derart in der Vergangenheit drinnen, brauche ich keinen Kalender mehr die Zeit voranzutreiben. Außerdem will ich nicht mehr jeden Tag, sondern nur bestimmte Ereignisse schreiben. So werde ich im Folgenden auf ein Datum verzichten, solange es sich nicht um die zeitgenössische Geschichte handelt.

Ich kann nicht behaupten, dass mein Leben derzeit besonders lustig verläuft. Um die Fähigkeit zu sprechen nicht völlig zu verlieren, halte ich immer wieder Referate über Gott und die Welt an das Auditorium der Brennholzscheiteln.


Memo von Mag. Karin Elisabeth Franke

 

Es gibt aber eine Frau, die mich mit ihrer Liebe am Leben hält. Sie nimmt die vier Stunden lange Fahrt in Kauf und besucht mich regelmäßig, sie erledigt nicht nur die notwendigsten Arbeiten im Haushalt, sondern ermutigt mich weiterzuschreiben. Sie liest vor jedem anderen meine letzten Schriften, kritisiert sie. Nicht nur das, da ich ein Legastheniker plus Grammatiktölpel bin, redigiert sie meine Arbeiten.

Leider kann sie nicht immer bei mir sein. Denn ihr Atelier ist auf dem anderen Ende der Welt. Ja, sie ist eine großartige Malerin. Und unterbricht ihre Arbeit immer wieder, mir zu helfen.

Ich merke jetzt, dass mein Roman bereits ein dickes Buch geworden ist. Ohne ihre Unterstützung könnte ich niemals so weit kommen.

Und sie wird in einigen Tagen sechzig. So unterbreche auch ich hier meinen Roman und wünsche ihr Alles Gute zum Geburtstag.

Ich empfehle meinen LeserInnen, ihre Homepage mit sehr wertvollen Arbeiten inklusive zahlreichen Portraits von Memo zu bewundern.

https://www.karin-elisabeth-franke.at

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start: 19 novembre 2017, up-date: 19 novembre 2017