Aufnahmeprüfung

Die schönste Daphne aller Zeiten und der Flüchtling
 
Roman
 
AUFNAHMEPRÜFUNG

 

Wir stehen alle vor der Tür. Endlich macht die Daphne sie auf.


Ich nehme an, dass hier nicht nur ein Gasthaus, sondern ein Gasthof, also eine Art von Hotel oder Pension existiert, auch wenn ich noch nicht genau weiß, was diese Begriffe in Österreich bedeuten. Ich bin ganz sicher, dass in diesem Zimmer mehrstöckige Hochbetten aufgestellt sind und außer mir noch einige Junggesellen hier schlafen.

In diesem Raum sind aber keine Menschen! Es ist nur ein Bettgestell aus Holz wie bei uns, worauf meine Eltern schlafen. Einziger Unterschied ist, dieses Gestell ist schmal und nur für eine Person.

Außer dem Bett sind hier ein Kleiderkasten, ein Holztisch mit zwei Holzstühlen und sonst nichts. An der Mauer hängt ein Heizungsradiator wie im Amtshaus von meinem Vater in Istanbul.

Während andere "Gastarbeiter" aus der Türkei für ein Bett in einem Massenquartier monatelang warten, bekomme ich hier ein Einzelzimmer mit Zentralheizung? Irgendetwas stimmt nicht. Ich bekomme Angst. Ist hier eine Falle der türkischen Polizei?

Dann sehe ich die Augen von Daphne. Auf sie habe ich Vertrauen.

Daphne kommt mit einem Tuch und beginnt alle Gegenstände in dem Raum abzustauben.

Pia verschwindet. Sie kommt nach ein paar Minuten mit einem großen Gegenstand. Ich sehe das von hinten, und kann nicht feststellen, was es ist. Ein Gemälde?

Pia hängt es an einem Haken an der Wand hinter dem Kopf meines Bettes. Es ist eine Madonna mit Kind, Farbreproduktion auf Paper, aber immerhin mit einem stabilen und vergoldeten Holzrahmen.

 

Il Sassoferrato, Madonna mit Kind

 

Kann die Jungfrau mich vor dem türkischen Geheimdienst schützen?

Jetzt geht die Daphne weg. Sie kommt wieder zurück. Auf ihrer rechten Schulter hängt eine große, puffige Daunendecke. Zwischen ihrem Kinn und ihrer linken Hand trägt sie einen Daunenpolster. Sie legt die Sachen auf das Bett und richtet es mit gekonnten Bewegungen her. Was ist los? Bekomme ich ein Hochzeitsbett?

Pia besichtigt das Zimmer. Macht die Fenster weit auf. Jetzt sieht man den Lindenbaum im Gastgarten. Sie sagt irgendetwas zu Daphne, aber lächelt dabei. Sie ist zufrieden.

Dann frage ich: "How much?"

Daphne fragt ihren Vater und sagt:

"Dreihundertfünfzig Schilling."

Die Scheißkapelle ist ungefähr gleich groß wie dieses Zimmer. Dort zahlen wir insgesamt neunhundert. Kann das stimmen? Ich wiederhole. Daphne sagt "Yes!".

Da ich kein Versteck habe, trage ich immer mein ganzes Geld bei mir. Auch von einem Bankkonto habe ich noch keine Ahnung. Ich zähle das Geld aus und gebe es ihr. Sie geht mit dem Geld zum Vater und kommt wieder zurück.

"Mein Vater braucht deinen Reisepass.", sagt sie.

Er ist in der linken Innentasche meiner Jacke. Ich gebe ihn ihr. Sie gibt ihn weiter an ihren Vater und er geht ein paar Stufen die Treppe hinunter.

Kaum ist eine Minute vorbei, kommt er wieder hinauf und schreit. Er schreit sehr laut und stampft mit seinen Füßen. Ich verstehe nicht, was er sagt, aber nehme ich ein Wort wahr: "Türkisch!"

Daphne kommt zu mir und versucht zu erklären:

"My father says: Everybody knows that a noble young man from Britain look for a room. And now, he is from Turkey."

"I never said…"

Sie kann mich nicht hören. Sie bedeckt ihr Gesicht mit beiden Händen. Sie schluchzt ganz laut.

Ja. Sie heult. Ist ihr nicht egal, ob ein fremder Junge bei ihnen ein Zimmer mietet oder nicht? Warum weint sie? Sie kennt mich kaum.

Pia diskutiert mit ihrem Mann. Ich verstehe nicht, was sie sprechen. Aber es scheint mir so, dass sie ihn zu besänftigen versucht. Er schüttet immer wieder seinen Kopf und bleibt stur.

Auch Erich beginnt mit seinem Vater zu diskutieren.

Daphne hockt am Boden und schluchzt weiter. Sie versteckt ihr Gesicht noch immer hinter ihren Händen. Soll ich sie trösten? Ich traue mich nicht.

Pia wird lauter. Jetzt streiten sie richtig. Wegen mir?

Auch Erich wird lauter. Daphne steht auf und beginnt mitzudiskutieren. Jetzt sehe ich sie von hinten.

Ihre Stimme ist noch immer weinerlich.

Jetzt sagt Erich irgendetwas. Pia und Daphne bestätigen und wiederholen. Erich bleibt hartnäckig. Ich merke, dass Ernst langsam unsicher wird. Jetzt sind alle drei gegen ihn. Sie wiederholen, erklären, lassen nicht nach.

Jetzt kommt Daphne wieder zu mir, wischt mit ihrer Hand die Augen ab und sagt:
"Erich needs somebody for English conversation. He learns English in School."

Hinter ihr geht die Diskussion weiter aber nicht mehr so laut.

Nach ein paar Minuten gibt Ernst auf. Nickt mit seinem Kopf und geht mit meinem Pass wieder die Treppe hinunter.

Jetzt ist Pia mit ihren Kindern in meinem künftigen Zimmer. Es wird alles überprüft, entstaubt und poliert.

Ich bedanke mich und gehe hinaus, meine Siebensachen von der Scheißkapelle abzuholen.


 
 
 
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start: 19 novembre 2017, up-date: 19 novembre 2017