Platz des ewigen Friedens und der Freiheit!

Die schönste Daphne aller Zeiten und der Flüchtling
 
Roman
 
PLATZ DES EWIGEN FRIEDENS UND DER FREIHEIT

 

Ich habe sehr gut geschlafen. Ich könnte durchaus weiterschlafen. Ich bin aber aufgeregt.

Ich höre draußen Geräusche. Ich stehe auf und öffne die Tür. Es ist diese sympathische Frau. Sie erinnert mich wirklich an meine Mutter. Sie lächelt mich an und sagt "Guten Morgen!"

"Good Morning" sage ich. An ihrem Rock hängt das liebe Mädchen.

Ein großer Raum. Keine auffälligen Möbeln aber alles ordentlich hergerichtet. Alles sauber. Meine Mutter putzt fast vierundzwanzig Stunden am Tag. Es schaut aber bei uns niemals so aus. Es dürfte an dem Stand der Technik liegen, wir haben zum Beispiel keinen Staubsauger.

Durch den Spalt zwischen den Vorhängen kommen die ersten Strahlen der Morgensonne. Mit schnellen und geschickten Bewegungen deckt die Frau einen großen Tisch. Das weiße Tischtuch glänzt.

Geht eine andere Tür auf und kommt die Tatarenfamilie herein.

Begrüßungen. Wir alle setzen uns zu Tisch.

Die Kinder von Herr Tatar reden fast nie. Wenn dann flüstern sie etwas in die Ohren ihrer Mutter.

Kaffee! Ungewöhnlich zum Frühstück! Noch dazu nicht in einem kleinen Kaffeetopf mit einem langem Stiel, sondern in einem großen Porzellankanister! Dazu kommt noch Milch. Ziemlich gewöhnungsbedürftig.

Weiches Ei auf einem Eierbecher aufgestellt. Das kenn ich, aber seit Jahren nicht gegessen. Ganz frisch.

In einer kleinen Alukapsel Honig! Seit Jahren nicht gesehen! Ich bin im Schlaraffenland!

Nie gesehene Käsesorten in Scheiben liegen in einem flachen Teller. Sie schmecken sehr gut.

Wieder in einem flachen Teller liegen verschiedene Wurstsorten in Scheiben. Ich mache eine Handbewegung in die Richtung. "Schwein!", sagt Herr Tatar. Ich ziehe meine Hand zurück.

In einer kleinen Silberpapierpackung Teebutter! Teebutter kenne ich. Sie liebe ich. Zuletzt habe ich sie in Kurdistan gegessen. In Istanbul gibt es nur Unilever-Margarine aus USA.

Und jetzt die Krönung: Eine Semmel!

Bei uns gibt es helleres Mischbrot aus der Bäckerei. In sehr wenigen Bäckereien auch französisches Baguette. Aber eine Semmel sehe zum ersten Mal! Sie duftet so köstlich!

Seit ein paar Jahren haben wir Propangas-Flaschen und einen dazu passenden flachen Herd zuhause. Aber kein Backrohr. Ein Backrohr zu Hause kann ich mir nicht einmal vorstellen. Eine warme Semmel ist ein Rätsel. Wie macht das diese Frau?

Es schmeckt mir so gut! So knusprig! Ich habe meine sofort gegessen.

Unsere Gastgeberin bringt in einem geflochtenem Korb neue Semmeln. Es duftet. Sie sind noch heiß. Ich bin begeistert!

"Du bist noch jung", sagt Herr Tatar. "Du bist zum ersten Mal in Europa. Ich lebe seit Jahren in Deutschland. Ich gebe dir eine wichtige Auskunft. Als ein junger Mann kannst du das sicher brauchen.
In Europa sind alle Frauen Huren. Das gilt von neun bis neunzig Jahren für alle Weiber. Das gilt überall und ausnahmslos. Du musst nur das Geld zeigen. Zeig das Geld und fickt sofort auf der Stelle!"

Frau Tatar sagt nichts.

Ich versuche, Herr Tatar nicht anzuschauen.

Wenn Herr Tatar so weiter macht, wird er bald als Beef Tatar enden.

Wie viel Tage brauchen wir noch bis Hamburg? Wieviel Stunden kann ich das noch aushalten? Er ist entschlossen aus mir einen Mörder zu machen.

Bezahlung, Abschied. Wir fahren weiter.

Ich zittere am ganzen Körper. Versuche nicht aufzufallen.

Wir fahren weiter. Vorstadt. Traurige Wohnsilos.

Plötzlich Licht! Licht, aber wie! Der Himmel ist griechisch blau. Aus allen Gegenständen rinnt Sonne hinunter. Ich reibe meine Augen.

"Mir sind die Beine eingeschlafen", sage ich. Können wir ein bisschen anhalten?"

"Von mir aus.", sagt Herr Tatar.

Ich steige aus.

Hauptplatz, Graz
 

 

Ein Platz. Ein leuchtender Platz. Ein Platz, ohne den ohrenbetäubenden Lärm der Plätze in Istanbul. Sehr wenige Autos. Sehr wenige Menschen. Die Menschen in Istanbul versuchen in Mitten einer dichten Kolonne mit Ellbogen-Stoßen weiter zu kommen. Hier gehen die Menschen ruhig und gemächlich herum.

Niemand schreit!

Keine kleine Gruppen die einander gegenseitig die Schädel einschlagen.

Hier stimmt irgendetwas nicht.

Mit meinen Falkenaugen kämme ich die Gegend an allen Seiten.

Kein einziger Panzer! Kein an den Seiten offener Streitwagen der Polizei. Sogar keine uniformierten Polizisten.

Meine Augen suchen nach "Atatürk"- Statuen. Ein Platz ohne einen gigantischen Atatürk ist für mich nicht vorstellbar. Kein Atatürk!

Dann muss wenigstens ein Hitler da sein. Meine Augen suchen. Kein Hitler!

Ich bin auch mit Stalin zufrieden. Aber nichts!

Selbstverständlich habe ich das in Mitten des Platzes hingestellte große Denkmal nicht übersehen. Ganz oben auf dem Denkmal ist ein Maxerl. Er zeigt nicht gegen den Horizont, den man erobern soll. Er hat nur eine Papierrolle in der Hand. Ich weiß natürlich noch nicht, dass er Erzherzog Johann heißt. Rundherum um ihn sitzen Frauen. Er ist sicher kein Feldherr.

Rundherum den Denkmal sind Stufen und darauf sitzen die Leute in Frieden. Wenn man Atatürk näher kommt wird man verhaftet. Außerdem spritzt der Johann rundherum Wasser bei dieser Hitze. Er macht mir keine Angst.

Ich setze mich auf die Stufen unter das Denkmal zwischen eine Frau und einen Mann und zünde eine türkische Zigarette an. Beide meine Sitznachbaren sind jung und bildhübsch.

Ich taufe diesen Platz "Platz des ewigen Friedens und der Freiheit!"

Die freundliche Gastgeberin, das unvergessliche Frühstück und dieser Platz haben mein Herz erobert. Bevor ich aus Herrn Tatar Beef Tatar mache bleibe ich hier.

Ich gehe zum Auto.

"Ich bleibe hier!" sage ich.

"Was ist mit deinem Schiff nach Hamburg?"

"Es wird warten. Danke für die Fahrt", sage ich.

"Bleibe nicht hier. Hier sind die Leute arm. In Deutschland verdienst du Mark!"

"Ich wünsche euch ein gutes Leben", sage ich.

Er fährt weiter. Ich schaue hinter ihm nach.

Mich schauderts. Was habe ich getan? Wohin jetzt?

 
 
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start: 19 novembre 2017, up-date: 19 novembre 2017