Fressen und... (Teil 1)

Die schönste Daphne aller Zeiten und der Flüchtling
 
Roman
 
FRESSEN UND... (Teil 1)

 

Seit meiner frühen Jugend habe ich -mit Unterbrechungen- immer gearbeitet.

Am Anfang nahm ich Platz an den mir zugewiesenen Reihen des Lumpenproletariats.
Ich war Schuhputzer. So habe ich gelernt, wie die erwachsenen Herren aus dem Blickwinkel der Hunde und Katzen aussehen.

Im Sirkeci Bahnhof in Istanbul habe ich die schweren Koffer der rückkehrenden Almandschi (=Deutschmacher, gemeint Fremdarbeiter in Deutschland) zu den Hotels geschleppt. Die koffergroßen Transistorradios trugen sie stolz selbst als Statussymbol.

Während die gleich altrigen Kinder in Begleitung ihrer Eltern Karussell fuhren, malte ich Mickey Mouse und Donald Duck auf die kreisenden Karussellflugzeuge im neu gegründeten Lunapark von Kadiköy.

Ich habe auch gegen die Erwachsenen mit gezinkten Karten gespielt. Da ich aber noch zu klein war, konnte ich öfters meine Verdienste gegen eine Watschen nicht verteidigen.

Dank meiner Begabungen bin ich bald in die kleinbürgerliche Klasse aufgestiegen. Ich habe Bücher übersetzt, Bücher geschrieben, war auch Karikaturist, Schauspieler und Sänger…

Ich habe aber bisher noch nie so viel Geld gehabt, wie jetzt mein Vater in meine Tasche steckt, jedes Mal, wenn ich ihn sehe.

Somit entstand auf einmal eine für mich bisher unbekannte Frage: Wofür kann ich das viele Geld verwenden? Noch dazu in dieser Einöde?

Nach einer kurzen Überlegung fand ich die Antwort: Zum Essen!

Denn immer wieder zurückkehrende Phasen des Verhungerns wurden ein Bestandteil meiner Identität. Darum bestellte ich auch nach Jahrzehnten, jedes Mal, wenn ich zu Geld komme, in Wien, im Steakhouse in der Schlickgasse, zwei Portionen „Große Grillplatte für Liebespaare“ plus Pommes Frites und extra Salat.

Als ich noch sehr jung war, bin ich fast jedes Mal, wenn ich von „Zuhause“ flüchtete, dem Hunger begegnet.

Nur an den Tagen, wenn ich wieder nach Hause zurückkehrte und ich mich mit den Eltern versöhnte, bot mir meine Mutter ein Festessen an und mein Vater schenkte dazu ein oder zwei Flaschen Bier.

Vor ein paar Jahren spielte ich beim Oraloglu Theater bei den griechischen Klassiker „Lysistrata“ mit. Die Aufführungen wurden wegen „Unsittlichkeit“ verboten. Da bin ich mit den anderen KollegInnen in den Hungerstreik getreten.

Devr-i Süleyman

Ich habe auch bei den legendären „Volksschauspielern“ gespielt. Als erstes regimekritisches Theater der Zeit konnten wir uns an Zuschauerströmen erfreuen. Damals war Süleyman Demirel Ministerpräsident. Unser kabarettartiges Stück hieß „Devr-i Süleyman“(=Die Ära des Süleymans), angelehnt an Sultan Süleyman der Prächtige. Allein die Gewerkschaften bildeten vor der Kasse Kilometer lange Warteschlangen. So spielten wir öfters dreimal am Tag. Das war sehr anstrengend und man brauchte dazu ordentliche Nahrung. Uns hatten damals die leitenden Kollegen des Theaters gesagt: „Wir sind Kommunisten. Hier bekommt jeder 600 TL im Monat. Und wir spendieren 300 davon freiwillig an das Theater zurück.“ Also ich habe -vermeintlich- wie jeder andere mit 300 TL leben müssen. Jahre später habe ich erfahren, dass die Kollegen an der Leitung jedes Monat 2500 TL bekamen und gar nichts zurück spendeten. Also habe ich auch dort, trotz voller Kassa verhungert. Die vermeintlichen Genossen haben auch von dem Gewinn Anteil bekommen und schaufelten Geldscheine.

Und jetzt, nach dem Militärputsch am 12 Marz 1971, herrschte im ganzen Land das Kriegsrecht. So begann mein Versteckspiel als ewiger Wanderer. Wieder war verhungern Regelzustand, bis ich nach Mersin kam und meinen Vater traf.

Selbstverständlich war das Republik-Kebap ein großer Luxus für mich. Aber durchmachen der dazu gehörigen Zeremonie mit sämtlichen Vertretern des faschistischen Staates grenzte an Masochismus.

Also, wenn ich jetzt so viel Geld habe, will ich die kulinarischen Spezialitäten von Mersin entdecken.

Das ist eine alte Gewohnheit von mir: Ich war fast überall in der Türkei. Theatertourneen, Feldforschungsreisen, politische Propaganda, Hilfsarbeit bei den Bauern als Erntehelfer… Und wo ich landete, wollte ich neben der traditionellen Kultur auch die kulinarischen Spezialitäten kennen lernen.

Da ich in Istanbul geboren und aufgewachsen bin, habe ich die Vielfalt der örtlichen Angebote immer mit Istanbul verglichen. Leider, außer in wenigen Großstädten wie Ankara und Izmir, wo nur in teuersten Restaurants ein Bruchteil der Vielfalt von der Istanbuler Kulinarik angeboten wurde, war überall, statt Vielfalt der Speisen Vielfalt der Armut zu entdecken. Wenn die Familien einen Sack Mehl kaufen konnten, machten sie zuhause Fladenbrot und aßen dazu Zwiebeln.

Wahrscheinlich war die kulinarische Vielfalt des damaligen Istanbul mit sehr wenigen Städten der Welt zu vergleichen. Leider kann ich Wien, wo ich den Großteil meines Lebens verbachte, zumindest in den siebziger Jahren, nicht dazu zählen.

Während in Istanbul der Großteil der Stadtbevölkerung verhungerte, verhungerte in den siebziger Jahren niemand in Wien. Nicht zuletzt dank des Marschallplan, blühte Österreich unter der Kreisky-Regierung. Ich bin in Istanbul keinem Studenten begegnet, der ein eigenes Auto hätte. In Wien fuhren mich meine GenossInnen mit ihren -wenn auch gebrauchten, kleinen und schäbigen- Autos herum.

Was war damals in Wien zu essen? Ungarisches Gulasch (Eigentlich osmanisch Kul Aschi = Sklavenmahlzeit, in großen Kesseln gekochtes Rindfleisch für die Janitscharen), mailändische Schnitzel aus Schwein, französische Pommes Frites, serbische Cevapcici, und vielleicht „Wiener“ Salonbeuschel und Reliquie der Hungerkatastrophen Knödel. Wenn es unbedingt wienerisch sein soll, kann ich den Tafelspitz empfehlen.

Auch den Wienerwald an der Freyung muss ich erwähnen, als Vorgänger des Mac Donald. Hier war im alten Fett versaufende Backhändelstücke zu essen.

Nicht einmal die italienische Weltspeise Pizza war damals in Wien zu bekommen. Vielleicht die Vielfalt der Mehlspeisen könnten mit Istanbul Schritt halten, aber sie waren für mich damals viel zu teuer.

Street Food? Das war Maroni und Kartoffel-Bräter im Winter. Fast Food? Das beschränkte sich nur auf den Würstel-Stand. Auf die Döner-Buden mussten wir noch mindestens ein Jahrzehnt warten. Auch die „Hühner-Paradiese“ waren noch nicht in Sicht.

In Istanbul war aber die Vielfalt des kulinarischen Angebots unendlich. Und das war gestapelt nach sozialen Klassen und einzelnen Stufen innerhalb dieser Klassen. Trotzdem ging der Großteil der Stadtbevölkerung jeden Abend hungrig ins Bett, wenn sie überhaupt ein Bett besitzen.

Das Osmanische Reich besetzte einmal fast die Hälfte der Alten Welt. Alle kulturelle Errungenschaften der besetzten Länder, auch die Ernährungskultur, wurden dem jeweiligen Sultan zu Füßen gelegt. Höhere Staatsbedienstete imitierten alles an ihren eigenen Höfen. So setzte sich die Tradition fort.

Trotz zeitweiligen -niemals durchgesetzten- Alkoholverboten hatte Istanbul als Hafenstadt auch eine bis nach Byzanz reichende uralte Weinhauskultur.
Nach dem Ende des osmanischen Reiches war das höchste gastronomische Erbe dem schwer Alkohol süchtigen Diktator und seinen Lakaien zur Verfügung gestellt. Während Hungerkatastrophen in Anatolia einander folgten, war zur meiner Jugend die Esskultur in den Großstädten bereits „liberalisiert“.

Als Student hatte ich Zugang zu der Mensa in der Hauptuniversität in Beyazit. Das Essen war leistbar, aber fad und nicht genügend um satt zu werden. Die Wartezeiten an der Kassa waren sehr lang und ich war als ein viel beschäftigter Junge nicht sehr oft dort.

Wenn ich per Schiff von der Anatolischen Seite kam und zur Universität ging, kam ich zuerst an den Hafen in Karaköy. Bereits in der Halle von der Anlegestation verkauften Männer Kipferln und andere Bäckereien. Im Glaskasten gab es auch warm gehaltenes kurdisches Borek mit Fleisch- oder Schafskäsefüllung. Ich hatte aber nur sehr wenige Münzen. So ging ich weiter.

Von Karaköy kam ich zu Fuß nach Eminönü. Die Straße lief die Küste entlang und auf dem Gehsteig in den mit Wasser gefüllten Bottichen hüpften noch lebende Fische.

In Eminönü überhüllte mich der duftende Rauch des auf Holzkohle gegrillten Kokoretsch. Das sind die geflochtenen Schafsdärme. Wie viele andere Speisen in der Gegend, wurde heißer Kokoretsch in ein in der Mitte geschlitztes halbes Brot gefüllt. Ich hatte aber meistens nicht genügend Münzen dafür. So ging ich weiter.

An der Küste standen einige Motorboote der Fischer nebeneinander und schaukelten auf den Wellen. In jedem Boot war eine Gruppe von Männern anwesend. Sie hatten von der Sonne verbrannte, fast geschrumpfte Gesichter, aber blonde Haare und blaue Augen. Sie waren die Lazen aus der Schwarzmeerküste.

Kokoretsch
 

Diesmal dufteten die Rauchschwaden nach gebratener Makrele. Ein Mann saß im Boot am Boden und schnitt Filetstücke aus den Fischen. Dann schmieß er den Rest wieder ins Meer zurück. Ein anderer Mann brat sie in Öl in einer Pfanne auf einem Gasherd (So nannten wir damals die Benzinbrenner). Ein anderer schnitt die Brote in zwei Hälften, schlitzte sie in der Mitte und reichte sie an den Bräter. Ein anderer Mann gab die gefüllten Brote an die hungrigen Kunden.

Mein Mund wurde voller Speichel. Mein Kopf wurde berauscht vom duftenden Rauch. Mein Magen machte merkwürdige Geräusche. Aber meine Münzen reichten nicht.

Dann musste ich die Galata-Brücke (= Die Brücke am Goldenen Horn) überqueren. Beidseitig auf der Brücke standen hunderte Angler Schulter an Schulter. Ja, damals besuchten öfters die Bonitofisch-Schwärme Istanbul. Jetzt sind sie vom Aussterben bedroht.

Dann befand ich mich auf der linken Seite am Gehsteig der Brücke. Da gab es einen strömenden Fluss aus Menschen. Sie schoben mich vor sich her. Ich sah meine Füße nicht mehr. Ich bekam keine Luft. Da gab es kein entkommen.
In der Mitte der Brücke fuhr die Straßenbahn. Rechts und links davon bewegte sich wie eine Schnecken Armee der ewige Stau der Autos.

Das Hupkonzert der Autos war wie ein Zikaden-Konzert im Sommer, niemals von Pausen unterbrochen. Die Möwen schrien wie die Vögel aus einer in Urzeiten untergegangenen Welt. Die Schiffe heulten, wie Büffel, die von einem Wolfsrudel lebendig gefressen wurden. Lärm betäubte meine Ohren. Trotzdem hörte ich das Knurren meines Magens weiter.

 
Angler auf der Brücke
Der Gang durch die Apokalypse dauerte mindestens eine halbe Stunde. Danach torkelte ich wie ein Betrunkener und konnte ein paar Minuten lang nichts mehr wahrnehmen. Die erste Wahrnehmung danach war wieder der Hunger.
 

So kaufte ich von einem Straßenkind einen Sesamring, seit Jahrhunderten eine Spezialität aus Istanbul. Ich hatte noch genügend Münzen für ein Glas schwarzen Tee. Ich ging zum nächsten Teehaus.

Jetzt genügend gestärkt ging ich in die Richtung Universität weiter. Vom Bahnhof in Sirkeci nach rechts geht die Straße steil hinauf weiter.
Bab-i Ali (=Hohe Pforte). Hier war einst das Verwaltungszentrum des osmanischen Reiches. Bald kam ich zum Zeitungsviertel. Hier waren die Tageszeitungen und diverse Druckereien zu Hause.

Früher setzte man die Druckvorlagen Buchstabe für Buchstabe händisch. Jetzt waren die Linotype-Maschinen der letzte Schrei. Sie waren sehr teuer und wurden aus Deutschland importiert. Der Schriftsetzer saß auf einem Hocker vor der Maschine und konnte die Texte auf einer Tastatur tippen. In der Maschine kochte Blei und es wurden die einzelnen Zeilen aus Blei gegossen. Die giftigen Gase stanken entsetzlich, aber Setzer war ein gut bezahlte Beruf.

Danach setzte der Spezialist einzelne Zeilen in eine flache Holzkiste und stopfte die Leerstellen mit kleinen Holzklötzen. Eine fertige Druckform aus Blei in einer Holzkiste war sehr schwer.

Jetzt mussten diese Kisten von der Setzerei zur Druckerei transportiert werden.

Im Zeitungsviertel gingen mit Granitsteine gepflasterte ziemlich desolate schmale Gassen hinauf und hinunter. Hier konnte man nicht Auto fahren. Und für den Transport Esel zu verwenden schickte sich nicht für die Verleger der „modernen“ Türkei.

So setzte man die jungen kurdischen Einwanderer als Lastentiere ein. Auf ihren Rücken waren Satteln aus Leder befestigt. Sie mussten sich sehr bücken, damit die Kisten nicht wegrutschen. Unter der schweren Last auf ihrem Rücken torkelten diese Männer wie eine seltsame Affenart auf holprigen Gassen hinauf und hinunter.

Sie blieben immer gebückt, auch dann, wenn man ihre Satteln wegnimmt, für den Rest ihres kurzen Lebens.

Sesamringverkäufer
 
 
Linotype
 

In der Mittagspause saßen sie auf dem Gehsteig und aßen Brot mit Zwiebel. Ein Kopf Zwiebel legten Sie auf den Gehsteig und hauten darauf mit ihrer Faust. Somit war ihre Mahlzeit samt Beilage fertiggestellt.

Kein Zeitungsleser dachte jemals an die unverzichtbare Rolle dieser Männer bei der Entstehung ihrer Tageszeitung.

Für die Zeitungsangestellten grillten die Verkäufer an den Ecken der Gassen Fleischlaibchen auf Holzkohle und die heißen Laibchen wurden inmitten eines halben Laib Brot gesteckt.

Dort war aber auch im Glaskasten warm gehaltene Pilav (=gekochter) Reis) zu bekommen. Verkäufer füllten Pilav in eine Keramikschüssel und gab darauf ein paar gekochte Kichererbsen.

Wenn ich meinen Gang steil hinauf vorsetzte, kam ich nach Cagaloglu. Hier waren die Buchhandlungen. Am Ende der Cagaloglu kam ich zu einer breiten Straße, die links vom Sultanahmet-Platz kam und nach rechts bis zum Beyazit reichte.

 

Wenn ich nach links bog, gleich um die Ecke, war der kleine Laden von Yaschar Kemal. Dort signierte der langjährige Dauerkandidat des Literatur-Nobelpreis seine Bücher. Er war Kurde und auf einem Auge blind. Obwohl der Meister so alt wie mein Vater und weltberühmt war, behandelte er mich bei meinen gelegentlichen Besuchen wie einen gleichwertigen Kollegen. Auch er war, wie alle anderen bedeutenden Autoren des Landes, öfters im Gefängnis.

Wenn ich noch ein paar Schritte nach links ging, war eine große Lokanta.
Locanta war von italienischen Locanda türkisiert. In dieser Lokanta waren zu Mittag unter der Woche mindestens 50 Gäste anwesend. Höhere Beamten und Geschäftsleute. Keine Frauen. Es war kein offizeller Dresscode angegeben, aber wenn nicht alle Männer eine Krawatte hatten, trugen alle zumindest ein weißes Hemd und Sakko. Niemals ging ein Arbeiter in eine Lokanta.
Nach der mit sauberen weißen Tüchern gedeckten Tischen war eine lange Glasvitrine. Hier wurden mindestens 50 Speisen der Alt Osmanischen Küche, also aus der halben alten Welt ausgestellt. Ich war ein paarmal hier. Meine Münzen reichten für eine Rotelinsensuppe.

Außer der Lokanta war noch eine andere Art der gastronomischen Betriebe in Istanbul zu finden. Aschtschi (=Essenvekäufer). War eine Lokanta in Wien mit einem Nobelrestaurant zu vergleichen, war ein Aschtschi ein Beisl oder Tschocherl. Im Aschtschi-Laden sah man keine Herren mit Krawatten, aber Handwerker mit blauen Overall und Bauarbeiter mit Kalk geschmierten Schuhen. Ob Lokanta oder Astschi, gab es keinen Alkohol aber die obligatorische Karaffe mit Wasser und gratis Brotscheiben. Frauen waren nirgends zu sehen. Hier konnte man Bohnensuppe oder gekochtes Rindfleisch mit Beilage Pilav bekommen.

Ein anderes typisches kulinarisches Phänomen von Istanbul war Ischkembedschi (=Kuttelfleckmacher). Auch das hatte eine lange Geschichte in der Kostantiniyye. Meine erste Bekanntschaft mit der Ischkembedschi war bereits in der Zeit meines Gymnasiums in Haydarpascha. Mit mehreren Kollegen besuchten wir zu Mittag das dortige große Geschäft. Obwohl die Krankenschwesternschule um die Ecke stand, kamen hierher keine Frauen. Dafür aber manchmal Offiziere aus der nahegelegenen Kaserne. Die Soldaten durften nichts außer ihren impotent machenden chemisch präparierten Brei essen.

Hier wurde in Riesenkesseln Kalbsmagen gekocht, und wieder gekocht, und immer weiter gekocht bis das eine dünne Suppe wurde. Auf den Tischen steht außer der obligatorischen Wasserkaraffe und in Scheiben geschnittenem Brot, auch Salz und scharfes rotes Paprika Pulver, zerhackter Knoblauch, Pflanzenöl und Weinessig in kleinen Flaschen zur Eigendosierung. Wegen dem eigenartigen Geruch nannten wir das „Scheißsuppe“.

Auf der europäischen Seite waren Ischkembedschi Riesengeschäfte. Zu Mittag saßen hier hunderte Gäste aus allen Schichten und löffelten ihre Suppe.

Das auf der gegenüber Seite liegende Grätzel nannte man Tschemberlitasch (=Der bereifte Stein). Hier stand tatsächlich eine Steinsäule mit mehreren Eisenringen um gerahmt. Niemand wusste in der Umgebung, wozu dieser Stein gut sein sollte. Die Leute hielten das für eine der zahlreichen osmanischen Kuriositäten.

So wusste auch ich damals nicht, dass es das Wahrzeichen meiner Geburtsstadt war. Gründer der Stadt Byzantion, osmanisch Kostantiniyye, seit 1930 Istanbul, war der Römischer Imperator Konstantin. Hier ließ er einen großen Platz errichten. Das nannte man damals Konstantin-Forum. Inmitten dieses Platzes wurde eine hohe Säule errichtet. Auf dieser Säule stand eine Statue. Die stellte einen Mann, der in einer Hand einen Globus und in einer Hand ein Schwert trug, dar, und symbolisierte den Kaiser. Die Säule wurde Mai 330 bei der Einweihungsfeier Konstantinopels miteingeweiht.

Tschemberlitasch
 
   
 
 
 
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start: 19 novembre 2017, up-date: 19 novembre 2017