Mein Name

 
Volksschule "Zihni Pascha"
Roman
 
MEIN NAME
 
Sigmundsherberg, 20. 09. 2019



Damals nannten mich alle Güneş (=gelesen Günesch). Zuhause und in der Schule.

Günesch heißt türkisch "die Sonne".

Wie komme ich zu diesem seltsamen Namen?

Ich habe in meinem Leben nur zwei Menschen mit diesem Namen kennen gelernt.

Der erste ist Güneş Karabuda (1933-2018).

 

Foto: Kopiert von dem Artikel von Doğan Özgüden in Artı Gerçek

 


Er war einer der besonders schätzenswerten Menschen, die im 20. Jahrhundert in der Diktatur der "Republik der Türkei" geboren wurden.

Die "Republik" hat solche Menschen entweder umgebracht oder sie sind rechtzeitig geflüchtet.

Der "rasende Kriegsreporter" des schwedischen Fernsehens verfolgte die Widerstandsbewegungen seiner Zeit von Vietnam bis Chile, von Afrika bis Türkei, und lieferte Reportagen, die unsere Jugend prägten.

Mit großer Verneigung vor seiner Erinnerung.

Die zweite "Güneş" war eine Studentin aus der Türkei, sicher aus einer guten Familie, die ihr Studium im Ausland finanzieren konnte. Sie war sehr intelligent, ehrlich, und mit ihrem Benehmen verdiente sie meinen Respekt.

Leider konnten wir miteinander nicht viel anfangen.

Wo sie jetzt ist und was sie macht, weiß ich nicht. Auch ihr schicke ich meine Liebe und Respekt.

Dann ist das Ende! Ich kenne sonst keinen Günesch.

Ich bin noch im Bauch meiner Mutter. Meine Eltern leben damals in Samatya, bei meiner Großmutter.

Die Zieheltern von meiner Mutter wohnen damals in Şişli. In den 40er Jahren ist Şişli das Nobelviertel Istanbuls. Der Ziehvater von meiner Mutter ist irgendein Militärarzt. Also, sie können sich leisten, dort zu wohnen.

In Şişli ist ein berühmtes, historisches Geburtsspital. "Şişli Etfal Hastahanesi" (=Schischli Babys Spital).
(Um meine LeserInnen zu schonen, schicke ich Dr. Memo Schachiner mit seinen Forschungen über dieses Spital in den Urlaub.)

Ihre Zieheltern arrangieren, dass meine Mutter dort stationär aufgenommen wird.

Sie bekommt dort eine Infektion. Sie lag mit hohem Fieber fast bewusstlos. Sie kann sich erinnern, dass ein Helva-Verkäufer draußen ganz laut singt:

"Helvaci, Helva. seker lokumlu Helva!"
"Helva-Verkäufer, Helva(=(Süßigkeit aus Sesampaste). Helva mit Zucker und "Lokum"(=Turkish delight, Rahat)!"

Meine Eltern haben bereits einen Namen für mich ausgesucht:
Mehmet.

Nach der damaligen Tradition haben die Buben öfters die Namen ihrer Großväter bekommen. Wer war Mehmet? Oder Memo?

Ich habe meinen Vater ein paar Mal gefragt:
"Wer war dein Vater?"
"Ich kenne ihn nicht."

Und er hat recht gehabt. Sein Vater wurde kurz vor seiner Geburt ermordet. Mehr darüber weiß ich nicht. Wenn ich wieder meiner Großmutter begegne, werde ich sie fragen.

Memo ist ein sehr alter kurdischer Name.
Ein mittelalterliches Epos von Âhmedê Xanî trägt den Titel "Mem u Zin".

Ja. Mem ist der Name des Märchenprinzen. Vokativ (gerufen) heißt "Mem", "Memo".

Aber seit der Atatürk-Diktatur sind in der Türkei kurdische Namen verboten.
Nächst ähnlich klingender Name ist türkisch "Mehmet", turkisiert von arabisch "Mohammed".
So werde ich in die Geburtsurkunde als "Mehmet" eingetragen.

Da hatte meine Großmutter einen Traum. In ihrem Traum erscheint "Hacı Bektaş".

Wie soll ich den deutschsprachigen LeserInnen erklären, wer Hacı Bektaş ist?

Obwohl er in der Türkei durch die an ihn gewidmeten Denkmäler ziemlich bekannt ist, ist es genauso schwer für mich, für die türkischsprachigen über ihn zu schreiben.

Ich bin zwar auch Historiker, aber habe keine Lust, in meinem Roman Geschichtsunterricht zu geben.
Trotzdem muss ich vorsichtig versuchen, verständlich zu bleiben.

In der deutschen Sprache nennt man solche Leute "Mystiker", auch dann, wenn kein Teufel weiß, was "Mystiker" genau heißt. "Häretiker", die in der "Ahnengalerie" der jeweiligen Religion "gute Figur" machen könnten?

Er wurde im 13. Jahrhundert im Iran geboren und starb in Anatolien.

Er gilt heute als Gründer der Alevi (und) Bektaschi Religionen. Was die beiden vereint und trennt, ist eine lange Geschichte.

Auch wenn die Ahnen meines Vaters dazu gehören, was diese Religionen sind, kann ich nicht einmal ihren Angehörigen erklären, obwohl ich darüber lange historische Forschungen gemacht habe, oder gerade deswegen.

Erklären sie einer/m JapanerIn die "Dreifaltigkeit".

Nur so viel: Bei uns gibt es keinen Allah, keinen Himmel und keine Hölle!

Hacı Bektaş kann in allen Zeiten immer wieder und in vielen verschiedenen Formen erscheinen. Am meisten aber als Kranich.

Im Traum von meiner Großmutter erschien er, wie sie mir später erzählte, ungefähr so:


Canip Taşkıran, Aquarell: Hacı Bektaş
 

Hacı Bektaş schenkte meiner Großmutter einen großen, roten Apfel.

"Nimm das, das gehört dir! Das hast du verdient!"

Wie ich meine Großmutter hörte, glaubte ich, dass sie mit mir schwanger war und mein Vater hieß Josef.

"Ihr bekommt bald ein Kind. Es ist ein Bub. Er wird strahlen wie die Sonne. Ihr müsst ihn Günesch nennen."

Noch einmal: Günesch heißt türkisch "Die Sonne".

Meine Mutter konnte mit den Erzählungen meiner Großmutter nichts anfangen. Sie kannte nur Gott und Teufel. Mein Vater war nicht religiös, aber ihn gefällt die Geschichte.

Wie sollte ich wie die Sonne strahlen? Seine Fantasie landete bei der Glühbirne von Thomas Edison:
Memo Günesch Schachiner sollte der Nachfolger von Edison werden.

 
 
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start: 02 septembre 2019, up-date: 02 septembre 2019