Berber dükkânı

 
Volksschule "Zihni Pascha"
 
Roman
 
BERBER DÜKKÂNI (=DAS BARBIER-GESCHÄFT)
 
Sigmundsherberg, 30. 08. 2019

 

Für die Schule müssen die Haare ganz kurz geschnitten werden. Sonst bekommst du Läuse und kriegst sie nie mehr los.

Darum gehen wir zum Barbiergeschäft.

Ich war noch nie in einem Barbiergeschäft.

Vom Bahnhof gehen wir zurück in Richtung Schule.

Etwa in der Mitte der Bahnhofstraße zwischen dem Bahnhof und der Schule, auf der linken Seite ist das große Barbiergeschäft. Links und rechts auf der Fassade sind sehr große Fenster angebracht. Man sieht von der Straße, dass drinnen viel los ist. In der Mitte, zwischen den beiden Fenstern ist eine Holztür mit zwei Flügeln. Beide Türen sind von der mittleren Höhe hinauf verglast.

Mein Vater macht einen Flügel auf. Und eine Duftwolke schlägt mich so heftig, dass ich fast umfalle. Diesen Geruch werde ich niemals vergessen.

Foto: "Der alte Barbiersessel", gefunden im Internet. Quelle: Unbekannt


Dieser Geruch kommt nicht von der Rasierseife, die auch mein Vater jeden Morgen mit einer runden, kleinen Bürste zum schäumen bringt. Es ist nicht das Kölnischwasser, das nach dem rasieren auf das Gesicht geschmiert wird. Das ist nicht das Talgpuder, das nach dem Haarschnitt am Nacken angebracht wird. Vielleicht eine Mischung von alldem plus Männergeruch und Wasserdampf. So riechen die Barbiergeschäfte in Istanbul. Und diesen Geruch habe ich in meinem Leben sonst nirgends angetroffen.

In den weiteren Jahren meines Lebens war ich, wenn auch nicht sehr oft, in verschiedenen Barbiergeschäften in Istanbul. Sie waren in sehr verschiedenen Vierteln der Stadt. Aber alle haben den gleichen Geruch gehabt.

Wir gehen hinein. Es ist sehr heiß drinnen. Auf der rechten Seite brennen zwei Kohleöfen. Auf den beiden Öfen stehen große Teekannen und dampfen aus ihren Schnäbeln.

Vor der linken Wand entlang ist ein Holztisch, darunter viele Schubladen und darauf eine Glasplatte. Unter der Glasplatte sind sehr viele Fotos, Postkarten und alte Geldscheine. Hinter dem Tisch hängen an der Wand zwei große Spiegel. Vor dem Tisch sind zwei hohe Barbiersessel.

Auf dem linken sitzt ein Mann, er wird rasiert; auf den rechten sitzt ein anderer Mann, ihm werden die Haare geschnitten. An den Hälsen der beiden Männer sind mit Sicherheitsnadeln weiße Tücher gebunden und die Tücher sind lang und bedecken auch ihre Knie.

Beide Barbiere begrüßen uns lautstark und machen so weiter.

Zwei Buben füttern die beiden Öfen immer wieder mit Kohle, füllen die Kanne nach mit Wasser. Und betrachten mit einer sichtbar großen Aufmerksamkeit die Hände der Barbiere.

Ein bisschen weiter von den Öfen, nahe zum Fenster sind ein paar große, aber niedrige Tische. Rundherum sind Sesseln.

Ein Kind zeigt uns zwei Sesseln und entstaubt die sowieso sauberen Sitze mit einem Pinsel.

Auf dem Tisch liegen Zeitungen, Zeitschriften. Sowas kenne ich. Aber auch ein Heft mit gezeichneten schwarz-weiß Bildern. Jedes Bild sitzt in einem viereckigen Rahmen. Sowas habe ich noch nie gesehen.

"Vater! Was ist das?".

Mein Vater liest: "Tom Miks".

Das war mein erstes Comic Heft.

Auch darüber will ich später schreiben.

Ich sitze und blättere in dem "Tom Miks". Da sind Männer, die so bekleidet sind, wie ich es noch nie gesehen habe. Alle haben Pistolen in der Hand und schießen herum.

Da ist ein großer Zylinder auf drei Beinen. Die Männer gehen unten durch.

"Vater! Was ist das?".

'Ein Wasser Tank".

"Und diese da?".

"Erdöl-Pumpen".

Ich betrachte den linken Barbier-Sessel.

Sein Gesicht ist voll mit dem Rasierschaum. Dass kenne ich von meinem Vater. Er rasiert sich mit einem Apparat, in den er jeden Tag eine neue "Gilette" Klinge einsetzt.

Der Barbier hat ein langes Rasiermesser in der Hand und mit dem streift er sein Gesicht. Bei jeder Bewegung denke ich, jetzt hat er keine Nase mehr, jetzt hat er nurmehr nur ein Ohrwaschel… und so weiter.

Der Barbier bringt seinen Job ohne größere Vorkommnisse zu Ende. Auf dem Gesicht des Mannes sind nur ein paar kleine rote Punkte, die bluten. Der Barbier nimmt einen Stift aus "Schap"

in seine Hand und stoppt die Blutungen.

Danach sprüht er aus einem Flakon Kölnischwasser auf seine Wangen und streichelt ihn.

Ein Kind hält ein kleines Handtuch vor den Schnabel einer Teekanne hängend vor. Wasserdampf malt darauf verschiedene Bilder.
Der Bub gibt das Tuch sofort zum Barbier weiter. Der Kunde lehnt sich ganz zurück und macht seine Augen zu. Der Barbier legt das heiße Tuch auf seine Augen. Anscheinend genießt der Mann diesen Vorgang. Ich hoffe, dass sie mit mir so etwas nicht tun.

Es wird drei Mal noch wiederholt.

Danach nimmt der Barbier eine erbsengroße Creme aus einer kleinen Dose auf seinen Zeigefinger und verteilt es auf seinem Gesicht.

Der Barbier macht die Sicherheitsnadeln auf und der Mann steigt runter.

Er verabschiedet sich.

Der Barbier sagt zu meinem Vater:
"Jetzt sind Sie dran!".

"Er!", sagt mein Vater. "Bitte schulmäßig".

Der Barbier hebt mich hoch und setzt mich auf den Barbiersessel.

Ein Bub bringt eine neue, gefaltete Schürze. Der Barbier wickelt das um meinen Hals. Die Schürze bedeckt auch meine Füße. Auf meinem Nacken höre ich die Sicherheitsnadel klicken.

"Bitte, würgen Sie mich nicht!", sage ich.

Er steckt seinen Zeigefinger zwischen meinen Hals und die Schürze und dreht sie rundherum um meinen Hals. Dann sagt er:

"Es ist locker".

Es ekelt mich. Ich mag nicht von fremden Leuten angegrapscht werden.

Auch jetzt ist das noch immer Horror, wenn die Krankenschwester kommt und sagt:

"Herr Doktor, ich muss Sie waschen!".

Ich sehe mich und ihn im Spiegel. Er kämmt meine Stirnlocken. Dann schneidet er sie mit einer Schere.

"Kick, kick, kick! Kick, kick, kick, kick!"

Meine schönen Locken sind weg.

Er macht weiter:

"Kick, kick, kick! Kick, kick, kick, kick!"

Meine Segelohren werden immer größer.

Jetzt hat er eine große Zange in der Hand. Er tut etwas hinter meinem Schädel:

"Trrrrrrk, Trrrrrrk, Trrrrk!"

Es ist nicht auszuhalten. Ich denke an die Ehre meines Vaters und spiele den Helden. Ich schweige.
Jetzt kommt er mit einem großen Rasiermesser und kratzt meinen Nacken. Es juckt. Und ich habe Angst.

Endlich macht er die Sicherheitsnadel auf. Die Schürze ist weg. Er hält einen kleinen Rundspiegel hinter meinem Nacken und sagt:

"Siehst du gut?".

"Ja!", sage ich.

Ich bin nicht mehr schön! Ich werde zusätzlich noch dieses Hundehalsband "Schulkragen" um den Hals bekommen.

Warum tun sie mir das an? Ist das um "Maschinenbauingenieur" zu sein notwendig?

Er holt mich runter. Ein Bub kommt und bürstet mich aus. Dann bringt er einen kleinen Pinsel und gibt Puder an meinen Nacken.

Die Folter ist fertig.

Wir gehen nach Hause.

"Vater! Gehen diese Buben nicht in die Schule?"

"Nein. Sie sind Lehrlinge. Sie werden Barbier."

"Warum wollen sie nicht auch Maschinenbauingenieur werden?"

"Die Schule ist teuer."

"Musst du an die Schule Geld bezahlen?"

"Nicht viel. Aber die Schule ist trotzdem sehr teuer. Du wirst alles selbst sehen."

Ich glaube, es gibt auf dieser Welt noch ärmere Leute als uns.


 
 
 
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start: 30 august 2019, up-date: 30 august 2019