Lieber
Robert,
Da
ich Dich nach Jahrzehnten im Facebook wider entdeckt habe, habe ich mehrmals
versucht, Dich zu kontaktieren. Leider ist es mir nicht gelungen. So poste
ich diesmal öffentlich, damit ein gemeinsamer Bekannter Dir meine
Grüße weiterleitet.
Einmal
fragte mich eine Freundin, ob ich Robert Schindel in irgendeiner Weise
zu dem Komiker "Mehmo" in seinem Roman "Gebürtig"
inspiriert habe.
Ach
ja! Der Robert! Wir kennen uns... Und nicht seit gestern.
Meine dort veröffentlichten 8 Bücher brachten mir 56 Jahre "erschwerte"
Gefängnisstrafe in der Türkei. Das war im Jahr 1971. Darauf
flüchtete ich nach Österreich. Vorarlberg... Innsbruck... Wien...
Mehrere Wohngemeinschaften... Sehr mühsame Übersiedlungen...
Zum Schluß bin ich in der Wohngemeinschaft "Hundsblume"
in der Berggasse 32/2 gelandet. Das war im Jahr 1972.
Vor meinem Einzug sollen einige bekannte "Namen" wie Elfriede
Jelinek dort gewohnt haben.
Jahre später malte ich mit Farbkreiden Bilder vor dem Eingang vom
Prater auf den Gehsteig. Neben mir malte noch ein "Bettler":
Otto Mühl. Er erzählte mir, dass er seine erste Kommune in der
Berggasse 32/2 gegründet hatte. Also noch vor der Hundsblume.
Wie ich gekommen bin, waren Kurt Wischin und Leander Kaiser dort wohnhaft.
Kurt Wischin war Postbeamter. Leander Kaiser studierte etwas und malte.
Leander und sein Bruder Konstantin gaben eine Zeitschrift heraus: "Hundsblume".
Ich habe noch immer ein paar Exemplare davon.
Robert veröffentlichte in der Hundsblume seine ersten Gedichte. Leander
illustrierte sie. Ich konnte noch nicht genügend Deutsch. Damals
sprach ich nur Englisch. Ich schrieb nicht Deutsch, also kam nicht in
Frage, dass auch ich meine Gedichte dort veröffentlichen könnte.
Dafür versuchte ich mit der Hilfe von Langenscheidt die Gedichte
von Robert zu verstehen. Es gelang mir aber nicht.
Leander und Konstantin waren Mitglieder der Marxistisch-Leninistischen
Studenten, kurz "MLS". Also Genossen. Was tue ich für meine
Genossen nicht?
Damals versuchte ich mich mit schwarzen Gelegenheitsjobs, sprich "Dreckarbeit",
auf dem Wasser zu halten. Wochenenden waren für die Hundsblume reserviert.
Leander Kaiser erstellte an einer Schreibmaschine mühsam die "Wachsmatritzten".
Dann wurden sie auf eine "Abziehmaschine" gespannt. Diese Maschine
hupfte bedrohlich wie ein Känguruh auf einem klapprigen Holztisch
vom Altwarentandler "Möbel Beer". Immer wieder stockte
sie und musste mit Testbenzin komplett gereinigt werden. Wenn von der
ersten Seite genügend Exemplare fertig waren, spannten wir die zweite
Seite. Und wenn der Druckvorgang beendet war, sortierten Kurt, Leander
und ich die bereits gedruckten Blätter. Vorne kam der Cover mit dem
Hundsblumenbildnis von Leander. Dann wurden alle Blätter zusammen
geleimt und die Zeitschrift fertiggestellt. Ich half soviel wie ich konnte
und das sehr gerne. Schliesslich war ich gegenüber dem grossen Dichterkollegen
der künftigen österreichischen Revolution Robert Schindel, -so
dachte ich damals-, den ich noch nicht persönlich kannte und seine
Gedichte nicht lesen konnte, mit der revolutionären Solidarität
verpflichtet.
Bei diesen Tätigkeiten war unser Dichter nie anwesend. Ich war sehr
neugierig auf ihn. Ich wollte ihn auch fragen, ob er mich mit jemanden
bekannt machen würde, der meine Gedichte ins Deutsche übersetzen
könnte.
Eines Tages erschien endlich der Robert in der Bergggase, um seine Exemplare
abzuholen. Ein schlanker, schmächtiger Junge, der mein Bruder sein
könnte. Im Laufe der Jahre bin ich öfters auf der Straße
als "Hallo, Robert" angesprochen worden. Also meinten manche
Leute, dass wir verblüffend ähnlich ausschauten.
Leander machte uns bekannt. Wo komme ich her? Aus der Türkei? Zu
meiner großen Enttäuschung war der Robert an einem Gespräch
mit dem Dichter aus der Türkei nicht interessiert. Was dachte er?
Türke? Gastarbeiter? Analphabeth? Kameltreiber? Mahomet-Anbeter?
Werde ich nie erfahren. Nur, "ein Dichter, ein Kollege aus der Türkei,
wie interessant" dachte er sich sicher nicht.
Nach einem Jahr wurde die "Wohngemeinschaft Hundsblume" aufgelöst.
Ich wollte die Wohnung übernehmen. Somit erfuhr ich, dass der "Hauptmieter"
Robert Schindel war, obwohl er nicht dort wohnte. Die Wohnung, bzw. Das
Haus, bzw. einige weitere Häuser gehörten einem gewissen Geizkragen
von Dr. Haindl. Dr Haindl kam in die Berggasse. Auch Robert Schindel.
Damals bekam ich gerade meinen Gewerbeschein als "Werbegrafiker".
Meine Aufenthaltsgenehmigung war von dem Gewerbeschein, und der Gewerbeschein
von der Anmeldung in der Berggasse abhängig. Robert war distanziert
aber korrekt. Unterschrift, Unterschrift, Unterschrift... Die Sache war
erledigt. Damit habe ich mir die 50 Jahre Abhängigkeit von Heindl
und später von Lütgendorf aufgehalst, aber das ist eine andere
Geschichte.
Somit erfuhr Robert Schindel, dass ich nicht nur Dichter, sondern auch
"Grafiker" war. In den kommenden 15 Jahren kam kein Grafiker
aus der Türkei nach Wien. Wien ist klein. Würde ich sofort wissen.
Also war ich der einzige "türkischer Grafiker".
Was Robert nicht wusste, dass ich nicht ein Grafiker, sondern eine Grafikerin
war.
Ja. Mein Name als Künstlerin war (und ist) Elisabeth Weizenböck.
Diese vom Flohmarkt aber extravagant bekleidete junge Frau sprach nur
Englisch. Sie war begabt, fleißig und als Ausländerin, den
Umständen entsprechend preisgünstig.
Bald waren Banken und Versicherungen ihre Kunden. Und bald kam ihre Siebdruckerei
in Betrieb.
Elisabeth Weizenböck ist eine bedeutende Epoche der Wiener Subkultur.
Sie entwarf und produzierte im Siebdruckverfahren mindestens zehn Jahre
lang fast alle linken Plakate in Wien. Und auf ihre eigenen Kosten. Sie
akzeptierte nur einen Teilbetrag für die teuren Siebdruckfarben.
Nicht nur die linken Gruppen in Wien, sondern aus Chile, Iran, Türkei,
Palestina, Griechenland usw. zählten zu ihren nicht bezahlenden Kunden.
Ihre Plakate mit den roten Fahnen, geballten Fäusten und großen
Blockschriften waren sehr berühmt in Wien. Aber sie nicht. GenossInnen
waren mit einem Tapetenkleisterkübel unterwegs und plakatierten in
der Nacht und so durfte die Elisabeth ihre Plakate nicht signieren. Ausserdem
würde diese Tatsache ihre kommerziellen Kunden schrecken.
"Einer
hat Mehmo mitgebracht, einen türkischen Grafiker, und der näherte
sich spiralig einer allein dasitzenden Frau, Magda, die ein andrer mitgebracht
hatte.
...
Magda hatte wohlgefällig das Kreisen von Mehmo beobachtet, um, als
er sie zögernd am Knie berührte, aufzufahren und einen Aschenbecher
auf ihn zu werfen. Das Blut pulste aus Mehmos Nase in Bögen durchs
Zimmer. Er sprang auf, um sich auf Magda zu stürzen, doch Stiglitz
und Armando erwischten ihn noch an den Schultern, so dass Magda an ihm
vorbei durch zwei Räume ins Badezimmer lief und sich dort einschloß.
..."
(Robert Schindel, Gebürtig, Suhrkamp, 1992)
Lieber
Robert! Ist das der weltberühmte "jiddische Witz"?
Ich schlage in der Heiligen Schrift nach: "Mein Sohn, wenn Sünder
dich anschwatzen/ geh drauf nicht ein..." (Heilige Schrift/ Ketubim/
Mischle, 10-11)
Da
ich aber nicht so fromm bin, werde ich mich mit diesem "Mehmo"
ein bißchen beschäftigen.
Der Name "Mehmo"... Ohne dieses "h" wäre das
fast mein Name "Memo".
Ja. Der hier genannte ist aber ein Türke. Einen türkischer Namen
"Mehmo" oder "Memo" gibt es nicht. Einen "Kara
ben Nemzi" hat es auch niemals in Kurdistan gegeben. Aber "Im
wilden Kurdistan" heißen alle so ähnlich. So sind halt
die Schriftsteller.
Und
dieser "Mehmo" tritt auf einem Fest der jüdischen Oberschicht
in Wien auf. War ich öfters zu solchen Festen eingeladen?
In Innsbruck gehörte der Kommunist Emil zu meinen besten Freunden.
Er war mein erster jüdischer Freund in Österreich. Wir haben
unsere täglichem Haferflocken auf der Baustelle verdient. In Wien
habe ich auf der Kärntner Straße gesungen und sofort eine hübsche
Jüdin kennengelernt. Sie hatte zwar eine tolle Wohnung im ersten
Bezirk, aber nichts drinnen. Auch zum Fressen hatte sie nichts gehabt.
So verdiente sie ihr tägliches Brot durch Zettelverteilen. Wenn wir
beide nicht verkehrt veranlagt wären, hätten wir jetzt 12 jüdische
Kinder. Aber auch Aaron Saltiel sang damals auf der Kärntnerstraße
und jetzt ist der alte Junge, glaube ich, ein Psychiater. Aus mir ist
nichts geworden. So sang ich weiter.
Für die österreichische Fremdenpolizei war die Militärdiktatur
in der Türkei eine "Demokratie". Und die Medien berichteten
täglich von der Hinrichtung meiner engsten Freunde. Die Fremdenpolizei
war damals in einem Bunker in der Bäckerstraße untergebracht,
welcher mich an den Sansarian Han, wo über der Polizeizentrale
Folterkammern der türkischen Staatspolizei ihren Sitz hatten und
ich mich dort genauso auskannte wie in meinem Kinderzimmer, erinnerte.
Die engen Korridore der Fremdenpolizei mit damaligen hellgelben österreichischen
kafkaesken Amtsmöbeln und schmalen Sitzbänken angefüllt.
Und mit den geduldig ewig wartenden Gast- ArbeiterInnen. Hinter
einer der hellgelben Amtstüren saß der Hans. Hans
hatte Turkologie studiert. Er plauderte mit den Gastarbeitern türkisch
und manche sagten über ihn Er ist ein Türkenfreund
und andere Er ist ein Türkenfeind. Und wie ich in sein
Zimmer gerufen wurde, und vor seinem hellgelben Amtstisch Platz nehmen
durfte, teilte mir der "Hans" mit, dass mein Ansuchen als Flüchtling
abgelehnt worden war. Er musste mich bedauerlicherweise an die türkischen
Hänker ausliefern , wenn ich nicht binnen 14 Tagen Österreich
verliesse. Ich hatte aber keine Papiere um auszureisen. Um die Ernsthaftigkeit
dieser Drohung und die Macht der österreichischen Staatspolizei zu
demonstrieren, erzählte er mir meine für den österreichischen
Staat nicht akzeptablen erotischen Erfahrungen in meinen bisherigen Liebschaften.
Es war Sommer. So wanderte ein völlig verzweifelter junger Schönling
ziellos durch die Strassen von Wien. Plötzlich sah ich einen Palmenbaum.
Damit wurde ich auf einmal aus dem Gefängniss des damals sehr grauen
Wien befreit. Der Palmenbaum war in einem großen irdenen Topf eingepflanzt.
Hinter dem waren Tische und Stühle. Also war das ein Gastgarten am
Gehsteig, vor einem Kaffehaus im 3. Bezirk. Da saß ein sehr dicker
Mann allein. Ich stellte fest, dass er sehr intelligente Augen hatte.
So ging ich zu ihm und stellte mich vor. Er hieß Menachem Bargil.
Ich erzählte meine Geschichte, er ezählte seine Geschichte.
Exil in Schweden, Bruno Kreisky, österreichische Sozialdemokratie.
Er war, wenn ich mich richtig erinnere, Oberboss der Krankenkassen. Nach
unseren gegenseitigen Bewunderungserklärungen und Freundschaftsbeteuerungen
hob er den Hörer von der Gabel. Ja, er hatte einen richtigen Telephonapparat
auf seinem Tisch, mit einem Kabel verbunden mit dem Kaffehaus. Sowas habe
ich nie wieder in einem Schanigarten in Wien gesehen. Und er drehte 6
mal das Ziffernblatt und sprach irgendwas. Ich verstand nicht viel, mein
Deutsch war damals noch sehr brüchig und für eine Konversation
benötigte ich zusätzlich einige Sprachen.
Dann sagte er mir "Gehe zurück zu Hans. Er hat einen Fremdenpass
in der Schublade seines Tisches für Dich".
Ich lauf zurück und erlebte in der sehr langsam funktionierenden
österreichischen Amtsmaschinerie mein erstes Amtswunder.
So weit zu meinen ersten "Juden" in Wien. Leider lud mich keiner
zu einem Fest ein. Und wenn dann, ich hatte keinen passenden Männeranzug
dazu.
Und auf einem Fest grapscht der Türke "Mehmo" eine jüdische
Magda an. Ich bin kein Türke aber bin ich immerhin in der Türkei
aufgewachsen. In der Türkei gibt es alles: Islamisten, Faschisten,
Mörder, Vergewaltiger... Also Deine Fantasie ist im Bereich des real
möglichen zu platzieren. Aber sind "die Türken",
"so"? Sind "die Juden", "so"? Sind "die
Neger"... Wenn er sonst keine Eigenschaften hat, muss der Mehmo
unbedingt in ein Rassenklischee hineinpassen?
Dann schlug diese jüdische Magda in berechtigter Selbstverteidigung
mit einem Aschenbecher den türkischen Unhold ins Gesicht. Blut fließt
in Strömen...
Der Türkische Geheimdienst hat mich mehrmals gefoltert. Danach hat
mein Gesicht so ausgeschaut wie Aleppo nach dem letzten russischen Bombardement.
Später bin ich mehrmals klein und drei mal groß operiert worden.
So haben die wunderbaren österreichischen Chirurgiemeister mein Gesicht
wieder so hergestellt, dass man mich wieder erkennen konnte. In meinem
Gesicht gibt es mehr Metall und Keramik als Knochen. Nach einer Aschenbecherattacke
würde aus meinem Gesicht nicht viel Blut herausgekommen.
Dafür schenkte mir mein Vater eine schweizer Taschenuhr, so eine
mit einer Silberkette. Dann aber irgendwann tickte die Präzision
langsamer und ich nahm einen Schraubenzieher und klappte den Hinterdeckel
auf. Es sprangen hunderte kleine Zahnräder und Federn heraus und
es blieb eine Muschelschale aus Metal zurück.
Also so etwas hat keine "Milde Magda" mit mir angestellt und
damit hat mein Gesicht bereits viele Falten. Dafür kannte ich die
"Wilde Wanda" persönlich. Einmal versteckte sich eine lesbische
Dame Monate lang in meinem Bett vor ihr samt ihrem Hund. Solange sie und
ihr Hund mich nicht in der Nacht zu sehr an die Wand drückten, war
mir alles recht. Dann kam die Wilde Wanda, drohte mir mit einem riesigen
Metzgermesser und nahm ihr "Kapital" samt dem Hund zurück.
Also
Schlußfolgerung:
Du bist ein guter Schriftsteller und kann ich Dir verzeihen, dass Du u.a.
auch so eine schwache Figur wie Mehmo geschaffen hast.
Jemand hat mir gesagt, dass Du irgendwo in der Nähe in Niederösterreich
wohnst. Ich habe aber keine Adresse von Dir. Leider bin ich gehbehindert.
Wenn Du mich besuchst, wird es für mich eine Ehre sein, meinem berühmten
Kollegen ein Glas Wein anbieten zu dürfen. Und wenn ich Deine Adresse
finde, schicke ich dir ein Buch von mir und bitte ich Dich um einen ehrlichen
Kommentar.
Alles
Liebe
Dein Memo
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